Wolf Haas schreibt die komischsten und geistreichsten Kriminalromane. Und sein Held heißt Brenner
Wolf Haas ist ein Poet. Wolf Haas schreibt Kriminalromane. Entgegen landläufiger literarischer Vorurteile stehen diese beiden Behauptungen in keinerlei Widerspruch zueinander. Wolf Haas schreibt zurzeit die eigenwilligsten und zugleich komischsten Krimis des deutschen Sprachraums. Seine Bücher haben aber keinen reißerischen Plot und prunken auch nicht mit haarsträubenden Recherchen über Polit-, Wissenschafts- oder Wirtschafts-Mafiosi. Sie sind weder kühl abgezirkelte Gedankenspiele der Tätersuche noch als Kriminalstory verbrämte Sozialreportagen über finstere Seiten unserer Gesellschaft. Haas‘ Romane verführen ihre Leser vielmehr durch die lustvolle Wortakrobatik ihres Autors. Nicht nur prächtige Verbrechen hat er für seine Geschichten erfunden, nicht nur eine originelle Detektivfigur, sondern vor allem – wie sich das für einen veritablen Poeten gehört – eine noch nie gehörte, ausdrucksvolle, lebendige Sprache. Sein Held, der jetzt im fünften Jahr seiner literarischen Existenz seinen fünften Fall löst, heißt Simon Brenner. Nichts an ihm entspricht dem Idealbild des gewitzten, lässigen Schnüfflers. Brenner ist ein 50-jähriger österreichischer Dickschädel, maulfaul, begriffsstutzig, von Migräne geplagt, und sein größter Traum ist es, möglichst bald in Frührente zu gehen. Für fein gesponnene Wirtschaftsverbrechen oder diskrete Nachforschungen wäre Brenner unzweifelhaft der falsche Mann. Aber für die oft so bizarren Untaten seiner Landsleute, denen gern eine Neigung zum gemütvoll Makabren nachgesagt wird, ist er mit seiner ebenso bizarren Fantasie und Sturheit genau der Richtige. Ob zwei amerikanische Touristen auf einem abgestellten Skilift erfrieren („Auferstehung der Toten“); ob in einer gigantischen steirischen Grillstation unter Bergen von abgenagten Hühnerknochen auch Teile eines menschlichen Skeletts auftauchen („Der Knochenmann“); ob sich Wiener Krankenhausfahrer, statt Patienten zu fahren, vor allem untereinander bekriegen („Komm, süßer Tod“); oder ob in einem Salzburger Knabeninternat die fein zerstückelte und in Plastiktüten verpackte Leiche eines Schülers auftaucht („Silentium“) – für alle Fälle, an denen die gewöhnliche menschliche Vernunft zu verzweifeln droht, ist Brenner die letzte Hoffnung. Doch nicht der schweigsame Brenner selbst erstattet den Lesern Bericht von seinen windschiefen Abenteuern. Wolf Haas hat vielmehr einen namenlosen Schwätzer erfunden, der, als würde er in einem Beisl neben einem sitzen, mit nie versiegendem Wortschwall von Brenners Fällen erzählt – und mit scheinbar lebensweisen Kommentaren versieht, die an Bösartigkeit und Engstirnigkeit absolut nichts mehr zu wünschen übrig lassen. Haas vermengt so die angebliche Mentalität seiner Landsleute und den österreichischen Tonfall zu einer kunstvollen satirischen Prosa, die ebenso amüsant wie geistreich ist. In seinem neuen Roman ist es ein Park, der Wiener Augarten, um den so etwas wie ein Bürgerkrieg zwischen Hundebesitzern und Eltern mit Kindern tobt. Ein rabiater Tierhasser verstreut tödliche Hundekuchen, ein Argentino („Zweikommafünfmal so starke Gebissmuskeln wie ein Rottweiler“) zerfleischt am hellerlichten Tag eine Spenden sammelnde Tierschützerin, der in Wirtschaftswissenschaften dilettierende Chef eines Swingerklubs engagiert einen Detektiv, der sich von Wiener Amtsärzten ein größeres Verständnis für seine Pensionierungswünsche erhofft – das sind die Zutaten des aktuellen Brenner-Falles. Eine zentrale Rolle spielt zudem der „Flakturm, den sie da im Krieg mitten in den Augarten hineingestellt haben. Ein fast fünfzig Meter hoher Betonbunker mitten in der grünen Seele der Stadt, das sieht schon ein bisschen aus, als wäre ein schwarzes, fensterloses Hochhaus direkt aus der Hölle in den Augarten hineingefahren, quasi seelisches Problem.“ Da sage noch einer, man könne in Krimis keine zeithistorischen oder sozialpsychologische Metaphern unterbringen. P. S. Für alle, die zu ihrem eigenen Nachteil die Romane von Wolf Haas noch nicht gelesen haben: Es ist ratsam, die Brenner-Fälle der Reihe nach kennen zu lernen. Also mit „Auferstehung der Toten“ und „Knochenmann“ zu beginnen, um dann das Vergnügen über „Komm, lieber Tod“ bis hin zu „Silentium!“ genussvoll zu steigern. Die ersten, etwas schrilleren und schnelleren Bände machen auf den leicht elegischen, nachdenklichen Ton des jüngsten Bandes „Wie die Tiere“ erst recht neugierig: „Vielleicht haben die Leute deshalb so gern Hunde um sich, damit sie ihnen in die Leere und Stille und in die schlechten Vorahnungen ein bisschen hineinbellen.“
Wolf Haas: „Wie die Tiere“. Roman Rowohlt Verlag, Reinbek 2001 217 S., 34,90 Mark.