Die Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz verstehen sich als Korrespondenten des gesellschaftlichen Bodensatzes
Leo Szilard – um mit ihm und nicht gleich mit Greser & Lenz zu beginnen -, Leo Szilard war nicht nur ein glänzender Physiker und einer der Väter der Atombombe, sondern er hat außerdem noch ein paar ebenso fantastische wie sarkastische Erzählungen geschrieben. Eine handelt von einem Forscher, dem es gelingt, die Sprache der Delphine zu entschlüsseln. Die Tiere erweisen sich als hoch intelligent und begreifen alle mathematischen und physikalischen Fragen. Doch als der Wissenschaftler ihnen das Wesen der Demokratie erklären will, schlagen sie die Flossen überm Kopf zusammen. Schlimm genug, sagen sie, wenn bei politischen Entscheidungen die Stimme eines Dummkopfs das gleiche Gewicht hat wie die eines Genies, doch ist es notwendig, „noch einen Schritt weiter zu gehen, und zu glauben, zwei Dummköpfe seien besser als ein Genie?“ Eine politisch nicht eben korrekte, aber bedenkenswerte Frage. In den politischen Cartoons, den Karikaturen, den Zeitungs-Bilderwitzen von Achim Greser und Heribert Lenz – um nun zu ihnen zu kommen – ist der demokratische Souverän zu einer beherrschenden Größe geworden. Nicht die Mächtigen, nicht die hohen Amtsträger, Präsidenten, Kanzler oder Minister spielen in ihrem getuschten Universum die Hauptrolle. Sondern jene Menschen, die mit ihren Stimmen die Mächtigen in die hohen Ämter tragen, sie überhaupt erst zu Präsidenten, Kanzlern oder Ministern machen. Doch, offen gestanden, Genies sind auf diesen Zeichnungen selten zu entdecken. Weit häufiger sehr einfache Leute, die aus ihrer sehr einfachen Sicht auf Fragen der Politik kein Geheimnis machen. Das ist herrlich komisch – aber zugleich auch ein wenig beängstigend. Sollte es tatsächlich Volkes Stimme sein, was Greser & Lenz da einfangen, können einen tiefe delphinische Zweifel an der Überlebensfähigkeit einer Demokratie beschleichen: Wie soll das gut gehen? Mit einem solchen Souverän, soviel steht fest, ist doch beim besten Willen kein Staat zu machen. Da ist zum Beispiel die Zeichnung dieses einsamen Trinkers in Zeiten des Terrors, der im Rausch die Namen der biologischen Kampfmittel ein wenig durcheinanderbringt, und sich angesichts seines leeren Bierglas sorgt: „Meine Güte, habe ich heute einen Durst. Da wird doch kein Pilsbrand-Erreger im Bier sein?“ Oder der brave Bürger, der sich nach den detailreichen Reportagen über die Freizeitgestaltung des Künstlerfürsten Jörg Immendorff bei seiner örtlichen Volkshochschule erkundigt: „Was kostet bei Ihnen so ein Malkurs mit Koksen und leichten Damen?“ Doch wer länger in der Welt von Greser & Lenz verweilt, verliert diese sanften demokratietheoretischen Zweifel bald wieder aus dem Blick. Denn selbstverständlich ist alles noch viel, viel schlimmer. Nicht nur an der Basis des Landes sind die Genies dünn gesät. Unter den Regierenden sieht es keineswegs besser aus. Wie könnte es sonst sein, daß die Kultusminister nach der jüngsten PISA-Studie per Radio eilig eine Rückrufaktion starten: „Die Reifeprüfungsjahrgänge 1975 bis 2003 sind ungültig. Betroffene Abiturienten möchten sich bitte umgehend bei ihrem alten Gymnasium melden.“ Oder daß die deutschen Bauvorschriften selbst dem Teufel in der Hölle Brandschutzmauern abverlangen. Oder daß auf dem Grünen-Parteitag die prägnante Formel einer „ablehnenden Zustimmung“ zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gefunden wird. Deutschland ist bei Greser & Lenz ein ziemlich witziger, genauer: ein aberwitziger Ort. Nur zu gern würde man ihre Cartoons als Schnappschüsse aus einer lustigen Scheinwelt ansehen – wenn sie der Realität nicht so verflucht ähnlich sähen. Die beiden Zeichner sind Virtuosen in der Kunst, die mit viel Pathos und Theaterdonner debattierten Polit-Dramen der Gegenwart mit unserem ganz unpathetischen Alltag zu konfrontieren – und ihre Figuren selbst auf die größten Herausforderungen der Zeit hemmungslos kleinkarierte Antworten geben zu lassen. „Spalten statt versöhnen“, sagt Achim Greser sonnig, „ist eines unserer Lieblingsmotti. Aber wir haben keine revolutionäre Absichten, keine konkreten Utopien, wir wollen nicht mehr tun, als die Wirklichkeit durch unsere Brille zu betrachten. Wir wollen der Gosse eine Chance geben am Tisch der Herrschaftselite. Wir begreifen uns als Korrespondenten des gesellschaftlichen Bodensatzes.“ Kennengelernt haben sich die beiden an der Fachhochschule in Würzburg und wollten eigentlich Architekten werden. Doch die gemeinsame Begeisterung für das Frankfurter Satiremagazin „Titanic“ sorgte dafür, daß sie schon bald die unseriöse Branche der Hausermacher hinter sich ließen, um sich dem soliden Handwerk des Witzemachens zuzuwenden. Der Komik-Gott ihrer frühen Jahre war der Zeichner F. K. Waechter, der schon der Satirezeitschrift „Pardon“ in den Jahren der Studentenbewegung ihr graphisches Gesicht verliehen hatte und der auch bei „Titanic“ in den Anfangsjahren mitmischte. Ihm schickten sie ihre ersten selbstgezeichneten Gags, erhielten ermutigende Antwort und wenig später das Angebot technische Aufgaben für die Zeitschrift zu übernehmen. „Um den Job, also die Grafik, Layout und Heftproduktion zu machen“, erzählt Greser, „mußte man Humorkompetenz nachweisen. Jeder wurde da auf seinen Humor überprüft, damit das Humorniveau nicht absackt. Davon wurde nur die Putzfrau ausgenommen.“ Doch für die beiden war das strenge Komik-Controlling letztlich kein Problem. Vor der Bundestagswahl 1994 veröffentlichten sie in der „Titanic“ mit Christian Schmidt und Hans Zippert ihre erste dezidiert politische Comicstrip-Serie: Unter dem Titel „Rote Strolche“ rotten sich die Tiere des deutschen Waldes zusammen, um den auffällig dicken Bundesoberförster abzuwählen – der jedoch über Ziege Rudolf (Scharping), Dachs Oskar (Lafontaine) und Schnabeltier Johannes (Rau) triumphiert. Wenig später entdeckte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Greser & Lenz für sich und für die – und den „stern“ – zeichnen sie bis heute. Von der Krise der Sozialsysteme bis zum Dosenpfand, von Kanzler Schröders ungefärbten Haaren bis zum Testament Arafats, vom Irakkrieg bis zur Arbeitslosenquote, von der LKW-Maut bis zur Lehrstellenknappheit filtern sie aus den Themen des Tages hinreißend kratzbürstige, bissige, schrille Pointen. Einen Hauptort ihrer Inspirationen haben sie zu einem zentralen Schauplatz ihrer Bilder gemacht: die Kneipe von nebenan mit Holzpaneelen und Daddelautomat an den Wänden, mit Bierausschank und „deutscher Küche“. Auch wenn sie inzwischen ein stattliches Atelier in Frankfurts Osten unterhalten, ist das für sie nach wie vor ein bevorzugter Ort des Aufenthalts und der Ideenproduktion: „Eine Stätte, in der Menschen reichlich, preiswert und gut versorgt zusammenhocken und mit geistreichen und komischen Reden aufeinander einteufeln.“ Die solchermaßen betriebenen Feldstudien sorgen nicht zuletzt dafür, daß Greser & Lenz in ihre Bilder authentische Kenntnisse über die je aktuelle Bewußtseinslage an den Stammtischen der Nation einfließen lassen können. Eine andere wichtige Inspirationsquelle ist, wie sie sagen, ihre Zusammenarbeit. Im Dialog sind sie komischer als im Monolog. Achim Greser pflegt ein spürbar aggressives Temperament, Heribert Lenz verfügt über die Gabe, den Spitzen des Partners eine trotz alledem verbindliche Note mitzugeben. Aber als eine Arbeitsteilung im traditionellen Sinn ist das nicht zu verstehen. „Anders ausgedrückt“, meint Lenz, „wenn einer von uns um die Ecke gebracht werden würde, könnte ich noch lange so weiter machen wie bisher, ohne daß es jemandem auffallen würde.“
Achim Greser & Heribert Lenz: „Der Aufschwung ist da!“ Antje Kunstmann Verlag, München 2005 240 S., 9,90 €
Achim Greser & Heribert Lenz: „Lesen? Das geht ein, zwei Jahre gut, dann bist du süchtig“ Edition Tiamat, Berlin 2005 70 S., 13 €