Volker Braun erzählt 48 Schwänke aus dem Leben des Arbeiters Flick
Zum Unglück des Don Quijote gehört, dass er im falschen Jahrhundert lebt. Er will Ritter sein in unritterlicher Zeit. Diese Fallhöhe zwischen Wunsch und Wirklichkeit hat Don Quijote unsterblich und das Buch des Cervantes’ zum Inbegriff des komischen Romans gemacht. Volker Brauns Held Flick von Lauchhammer will Arbeiter sein in einer Zeit, in der die Arbeit immer seltener und Arbeitslosigkeit immer häufiger wird. Flick könnte aus dem Geschlecht jener Neuen Menschen stammen, deren Geburt die kommunistische Propaganda für die Zukunft voraussagte und deren „oberstes Lebensbedürfnis“ angeblich die Arbeit sein werde. Doch ist dieser Flick bei Volker Braun eben nicht in eine marxistische Zukunftswelt geraten, sondern in die postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart. Auch diese Fallhöhe zwischen Utopie und Realität könnte eine gute Basis für komische Einfälle schaffen. Doch leider ist Brauns Buch eher wirr als witzig. Flick von Lauchhammers Schicksal wird nach der Art einer Nummernrevue in 48 kurzen Schwänken vorgeführt. Der Prosa-Schwank, der im Spätmittelalter seine Blüte erlebte, gehört jedoch zu den holzschnittartigen Erzählformen. Bedauerlicherweise schließt sich Volker Braun dieser literarischen Tradition konsequent an und zielt auf grobschlächtige Kontraste und plumpe Pointen. Schnell hat man das gnadenlos wiederholte Handlungs-Schema der 48 Episoden durchschaut: Flick wird von einem brachialem Schaffensdrang angetrieben, aber ob er sich nun auf eigene Faust nach einer Beschäftigung umschaut, oder ob ihn die Bundesanstalt für Arbeit zu einer offenen Stelle schickt, niemand hat für seine ungestüme Energie Verwendung oder auch nur Verständnis. Also entgleist die Situation im Handumdrehen und Flicks Arbeitseifer sorgen nicht für gesteigerte Produktionsergebnisse, sondern nur für gesteigertes Chaos. So wird Flick beispielsweise vom Arbeitsamt als Aufseher an ein Museum für modere Kunst vermittelt. Dort soll er eine Installation hüten: ein verunglücktes Motorrad samt eingeklemmter Fahrerpuppe. Naturgemäß bleibt Flick nicht untätig neben dem Objekt stehen, sondern betätigt sich als Retter, indem er die Puppe „in den Achseln fasste und aus dem Schrott zog, und versuchte, sie künstlich zu beatmen (nachdem es künstlerisch nicht gelungen war), aber als das Polyersterharz nicht nachgab und der Brustkorb splitterte, er das bunte Opfer an die kalkweiße Wand lehnte und begann, das verzogene Blech geradezubiegen usw. liefen die Wachmänner alarmiert herbei, die zu sichern hatten, dass der verzweifelte Zustand erhalten blieb, so wie er nun einmal gemacht war. Sie hielten den Tatmenschen fest, den sie für einen Attentäter halten mussten.“ Auch wer im Museum häufiger mal skeptisch vor derlei Installationen steht, wird zugeben, dass über diese Kunst schon bessere Witze gemacht wurden als dieser. Dem simplen Strickmuster des Schwankes entsprechend, sind die meisten Scherze in diesem Buch alles andere als überraschend – doch Pointen, die man schon von weither Anlauf nehmen sieht, sind nicht komisch, sondern peinlich. Braun versucht dem mit allerlei Wortspielen und kleineren Kalauern abzuhelfen, doch dadurch wird der Ton der Geschichten bestenfalls neckisch und verquer, nie aber wirklich lustig. Natürlich hat Volker Braun das „Machwerk“, wie bislang noch jedes seiner Bücher, mit vielen Anspielungen auf Texte verehrter Klassiker der Literatur und Philosophie gespickt. Die damit verbundene Einladung an den Leser zum heiteren Zitate-Raten ist bei der Lektüre noch das Amüsanteste. Doch auch hier bevorzugt Braun nicht selten das Abgedroschene. So lässt er seinen Flick gegen Windräder kämpfen, wie Don Quijote einst gegen Windmühlen im berühmtesten Kapitel von Cervantes’ Roman, damit auch dem unaufmerksamsten Leser die Parallelen zwischen beiden Figuren ja nicht entgehen. Wie dem erfahrenen Schriftsteller Volker Braun, der 2000 immerhin den Büchner-Preis erhielt, ein solches Buch unterlaufen konnte, ist ein Rätsel.
Volker Braun: „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008 220 Seiten, 19,80 €