20 Jahre Verrat

Der Lyriker und Stasi-Spitzel Sascha Anderson hat seine Autobiografie geschrieben

Täter haben’s auch nicht leicht. Immer dieser Ärger mit den Opfern, die einfach nicht klaglos hinnehmen wollen, was man ihnen angetan hat. Statt dessen machen sie einem Vorwürfe! Und dann das ewige Genörgel der Öffentlichkeit. Ständig wird erwartet, dass man sich schuldbewusst zu seinen Taten bekennt! Das kann einem schon auf die Nerven gehen. Sascha Anderson war genervt, das merkte man ihm an. Im Berliner Kaffee Burger präsentierte er gestern seine gerade erschienene Autobiografie mit dem lakonisch-koketten Titel „Sascha Anderson“. Forschende Blicke, Kameras und Mikrophone richteten sich auf ihn, um mehr vom Täter Anderson zu erfahren. Mehr vom Verräter Anderson, der in den achtziger Jahren als selbsternannter Impresario sicher manche Verdienste um die realsozialistische Boheme der DDR erworben hat – der aber zugleich 20 Jahre lang als Spitzel der Staatssicherheit arbeitete und Geheimnisse vieler Künstlerfreunde seinen Führungsoffizieren in deren stets aufnahmebereiten Akten diktierte. Zunächst mit tonloser, dann mit zunehmend trotziger Stimme verlas Anderson eine Erklärung, in der er eine Menge Schurkereien beklagte – doch handelte es sich dabei erstaunlicherweise nicht um die eigenen Taten, sondern um die Berichte einiger Journalisten („besoldete Beobachter“), die sich erfrechen, seinen Fall nicht so darzustellen, wie er es für richtig hält. Anderson ist, das machte er gleich zu Anfang klar, ein Mann, der gern mit anderen über deren Fehler rechtet. Doch zu einem öffentlichen Wort der Reue angesichts seiner Opfer konnte er sich nicht durchringen. Lieber warf er um sich mit verdächtig hohl klingenden Genitivkonstruktionen („das Jetzt des Theaters“) oder mit hochtrabenden, aber letztlich rätselhaften Begriffen („die transzendentale Spaltung mit dem Werkzeug des Ich“). Ein Schuldeingeständnis musste erst mühsam aus ihm herausgefragt werden, und er ließ sich dazu nur in den abstraktesten Formulierungen herab: „Es steht außer Frage, dass ich ein Denunziator (!) war.“ Das Bestürzende an Andersons Autobiografie ist, wie wenig menschliche Verbindlichkeit sie erkennen lässt. So taucht auf den 300 Seiten des Buches eine stattliche Zahl von Geliebten, Ehepartnerinnen und Kindern auf. Doch keiner Frau, keinem Kind sind mehr als ein paar Zeilen oder Nebensätze gewidmet. Auch die Freunde, mit denen er jahrzehntelang zusammenarbeitete, geistern allenfalls als Schemen durch seine Erinnerungen. Statt dessen: Weitschweifige Berichte über Andersons Engagement für die Dresdner und die Prenzlauer Künstlerszene. Dazu: lange Aufzählungen der Bücher, die er ermöglicht hat, der Ausstellungen, die er organisierte, der Rockkonzerte, bei denen er mitsang, der Keramikarbeiten, an denen er mittöpferte. Glaubt man seinem Buch, galt die ganze Konzentration Andersons zeitlebens fast ausschließlich sich selbst und seiner Karriere. Damit könnte man sich als Leser einer Autobiografie zufrieden geben, wenn Anderson tatsächlich die entscheidenden Punkte seiner Vergangenheit offen legte. Der entscheidenden Punkt ist aber in seinem Fall nicht seine Lyrik – die kann man in seinen Gedichtbänden nachlesen – und auch nicht seine Poetik – die kann man in seinen Essays kennenlernen -, sondern es ist seine Zusammenarbeit mit der Stasi. Doch die Auskünfte, die er dazu gibt, bleiben äußerst vage und nebulös. Er streitet nichts ab, aber er macht auch nie präzise Angaben über Umfang und Inhalt seiner Zuträgerei. Andererseits mangelt es nicht an unterschwelligen Exkulpationsversuchen. Immer wieder lässt Anderson anklingen, dass die Verantwortung für sein Handeln nicht er selbst, sondern – wahlweise – seine Jugend, die brutalen Methoden der DDR-Polizei oder die perfiden Strategien der Stasi trugen. Daneben gibt es noch einen Haufen Verharmlosungsversuche: Seine Stasi-Berichte hätten dazu beigetragen, Freunde vor der Stasi zu schützen, oder die Stasi zu verwirren, oder gar die Stasi über ihre widersinnige Tätigkeit aufzuklären. Vermutlich muss man Anderson zugute halten, dass ihm als Lyriker jede Prosa, offenbar auch jede autobiografische Prosa fern liegt. Er leidet an einer offen eingestandenen „Unfähigkeit, zu erzählen“. Vielleicht würde er sein Leben gern genauer und seinen Opfern gegenüber fairer darstellen, hat es aber einfach nicht besser hinbekommen. Vielleicht. Aber wäre es dann nicht klüger gewesen, seiner Erinnerungen unpubliziert zu lassen? Denn das, was er jetzt mit oft mitleiderregender Unbeholfenheit festgehalten hat, ist gegen Ende hin schlicht skandalös. Anderson, der nicht nur in der DDR, sondern auch von West-Berlin aus für die Stasi arbeitete, musste sich nach der Wiedervereinigung wegen „geheimdienstlicher Tätigkeit“ verantworten und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch konnte er die Buße nur schwer akzeptieren, denn es „überstiegen die dreitausend Mark, die ich für die Einstellung des Verfahrens zahlen sollte, selbst meine Schuldgefühle“. Wie viel, fragt man sich, ist in seinen Augen ein 20 Jahre währender Verrat an guten Freunden wert? Bei der Antwort sollte er nicht zu knauserig sein. Ohne seinen Verrat würden sich nur wenige Menschen für sein Buch interessieren. Er macht, ob er will oder nicht, bis heute Kasse auf Kosten seiner Opfer.

Der Artikel erschien in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 2. März 2002

Sascha Anderson: „Sascha Anderson“
DuMont Verlag, Köln 2002 303 Seiten, 19,90 Euro ISBN 978-3832159047

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