Zum Tode des unglücklichen Schriftstellers Wolfgang Bächler
Talent und Tragödie sind mitunter Nachbarn. Bei kaum einem anderen Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur lässt sich diese traurige Konstellation so deutlich studieren wie bei Wolfgang Bächler. 1925 in Augsburg geboren, wurde er achtzehnjährig in Hitlers Armee eingezogen, schon bald darauf in Frankreich schwer verwundet und geriet in Gefangenschaft. Bereits seine ersten, nach Kriegsende noch in Zeitschriften verstreut veröffentlichten Gedichten verschafften ihm den Ruf, einer der wesentlichen neuen Autoren der Zeit zu sein. So war es kein Zufall, dass er, als sich die Gruppe 47 unter Hans Werner Richter zusammenfand, als jüngster Autor zum Gründungstreffen eingeladen wurde. Als dann 1950 sein erster Gedichtband „Die Zisterne“ erschien, war dies ein Ereignis. Gottfried Benn schrieb damals: „Wolfgang Bächler gehört zu den ganz wenigen neuen Lyrikern, die mich interessieren, an deren Weg ich glaube. Er hat persönliches Erleben und Mut zu offener, sammelnder wie zerstörerischer Form…“. Und Thomas Mann nannte ihn einen Dichter mit „echter Lebensinbrunst“, der „viel von der Qual und Zerrüttung der Zeit“ in seinen Versen eingefangen habe. In jenen Jahren stellte man Bächler ganz selbstverständlich auf eine Stufe mit Lyrikern wie Günter Eich, Paul Celan oder Ingeborg Bachmann. Er brachte die Erfahrungen seiner Generation poetisch zur Sprache. Einer Generation, deren kindlicher Idealismus von den Nationalsozialisten missbraucht worden war und die, als sie von den Schlachtfeldern zurückkehrten, nur noch Trümmerlandschaften sowohl materieller wie moralischer Art vorfanden. „Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten“, heißt es in einem seiner frühen Gedichte, „die Wiesen grünen wieder Jahr für Jahr. / Die Qualen bleiben, die wir einst erlitten, / ins Antlitz, in das Wesen eingeschnitten. / In unsren Träumen lebt noch oft, was war.“ Aus seinen Gedichten sprachen vor allem der Schock des Krieges und die Erkenntnis, dass letztlich nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter den zerstörerischen Folgen der Gewalt nicht entgehen. Wenn es so etwas wie einen pazifistischen Grundkonsens in jenen frühen Jahren der Bundesrepublik gab, fand er nicht zuletzt in der Lyrik Bächlers seinen literarischen Ausdruck. Das Gedicht wurde dabei für ihn eine Art bessere Gegenwelt, es war für ihn, wie er schrieb, „der einzige Weg zu Augenblicken des Glücks und der Befreiung, zu einer Ordnung und Lösung, die Freiheit schafft.“ Gesammelt liegt seine Lyrik heute in dem Band „Ausbrechen“ (1976) vor. Doch: Die Verletzungen des Kriegs reichen tief, und nicht wenige fallen ihnen noch lange nach der Heimkehr zum Opfer. Ab Mitte der fünfziger Jahre begann Bächler unter schweren Depressionen zu leiden, abgelöst von manischen Phasen. Ein zermürbendes Auf und Ab begann, dass ihn bis zu seinem Tod nicht mehr verließ, und dass seine literarische Arbeitkraft immer mehr einschränkte. Er versank mal wie gelähmt in sich selbst und wurde dann wieder zu einem überreizten Sucher, zu einem fieberhaft Getriebenen, der nirgends mehr Ruhe finden konnte. Die zehn besten Jahre, die ihm noch blieben, lebte er, mit einer Französin verheiratet, in Frankreich. 1967 kehrte er nach Deutschland zurück und verbrachte, wenn er nicht ärztliche Hilfe benötigte, viel Zeit auf ausgedehnten Reisen. „Ich wechselte noch oft die Städte und die Länder“, schrieb er in seinem Prosaband „Stadtbesetzung“ (1979), „ich sah mich auch, der beiderseitigen Propaganda misstrauend, hinter dem eisernen Vorhang um, zuerst von Peter Huchel und Stephan Hermin eingeladen, dann auch von Brecht, Bloch und Lukács angezogen und von der Wirklichkeit, die so sehr zu ihren Ideen kontrastierte, enttäuscht. Ich führte ein schweigendes Leben, schlug meine Zelte häufig auf und ab, ein unsteter Einzimmerbewohner, kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt.“ Aus therapeutischen Gründen, aber auch um ein urpoetische Terrain auf seine Weise zu erkunden, begann Bächler von den fünfziger Jahren an bis in die achtziger Jahre hinein seine Träume zu notieren. Diese Kurzprosastücke von einer oft erschreckender Illusionslosigkeit wurden in den Bänden „Traumprotokolle“ (1972) und „Im Schlaf“ (1988) zusammengefasst: Finstere Nachrichten aus einer labyrinthischen Welt voller Schrecken und ohne jede Zuflucht. Der oft als herzlos gescholtene Kulturbetrieb hat manches getan, um Bächlers Los zu erleichtern. Martin Walser und Michael Krüger vor allem setzten sich als literarische Fürsprecher für ihn ein. Regisseure wie Fassbinder, Werner Herzog und Volker Schlöndorff gaben ihm kleine Rollen in ihren Filmen. Jetzt ist Wolfgang Bächler im Alter von 82 Jahren in München gestorben.