Woody Allens erstes Buch seit über einem Vierteljahrhundert
Komisch zu sein, kann schnell zu einer sehr ernsten Sache werden. Jedenfalls wenn man Komik professionell betreibt. Woody Allen hat das mehr als einmal erfahren. Mit seinen frühen Filmen, einigen geradlinig aufs Lachen zielenden Genre-Parodien, hatte er sich in wenigen Jahren einen weltweiten Ruf als grandioser Spaßmacher erworben. Als er dann in „Annie Hall“ und „Manhattan“ seiner Komik eine intellektuelle Note gab, schieden sich zum ersten Mal die Geister. Die einen priesen den originellen Autorenfilmer Allen, andere trauerten dem Clown Allen nach und betrachteten die Nachdenklichkeit der neuen Filme schlicht als Symptom nachlassender komischer Kraft. Allen muss das ziemlich auf die Nerven gegangen sein. In seinem Film „Stardust Memories“ kriegt sein alter ego, der Regisseur Sandy, ständig zu hören, seine Filme seien nicht mehr so witzig wie früher. Als dann plötzlich Außerirdische vor ihm stehen, fragt er sie kummervoll nach dem Grund für all das Leid im Leben. Natürlich haben auch die keine Ahnung, aber sie wollen ihn trösten und sagen: „Wir mögen deine Filme. Vor allem die frühen, lustigen.“ Dabei sollte man es Komikern nicht zum Vorwurf machen, wenn sie zu neuen Ufern aufbrechen, statt an alten Erfolgsrezepten fortzustricken. Gerade komische Künstler geraten schnell in die Verlegenheit, sich verändern zu müssen, denn Komik verlangt fast naturgemäß nach einem Moment von Überraschung. Über Unvermutetes, Unvermitteltes lacht man leicht, über lang Erwartetes nur selten. Zum andern steckt in der anarchischen, sinnfreien, gnadenlosen Komik, wie sie Allens frühe Filme prägt, ein Element von Aggressivität, das nicht zu unterschätzen ist. Henri Bergson, einer der wenigen Philosophen, die eingehender über das Lachen nachgedacht haben, sah in der Komik den „Ansatz zu einem Attentat auf das soziale Leben“. Natürlich gibt es aus Sicht der Kunst eine Menge Gründe für solche Attentate und natürlich muss man jeden Künstler bewundern, der fortgesetzt die Kraft dazu aufbringt, sie zu verüben. Doch falls er sich irgendwann zu einer nachdenklichen, weniger aggressiven Form von Komik entscheidet, sollte man das nicht unbedingt als Versagen betrachten, sondern auch als ein Indiz zunehmender Reife. Wenn Woody Allen sein neues Buch, das erste seit 1980, jetzt „Pure Anarchie“ getauft hat, dann steckt also in dem Titel fast schon eine Ankündigung, fast schon ein Versprechen. Geht es zurück zu den Anfängen? Zurück zu den Wurzeln einer ungeniert direkten, von intellektuellen oder melancholischen Anwandlungen weitgehend freien Komik? Ja und nein. Tatsächlich passt das neue Buch gut in eine Reihe mit Allens früheren Sammlungen komischer Kurzgeschichten: „Wie du dir, so ich mir“ (1971), „Ohne Leit kein Freud“ (1975) und „Nebenwirkungen“ (1980). Allerdings waren auch die schon keine anarchischen Pointen-Feuerwerke, sondern wandten sich an ein Publikum, dem intellektuelle Neigungen nicht rundum fremd sind. An Parodien auf allzu hochgestochene Literaturkritiken, feierliche philosophische Dialoge oder gravitätische Vorlesungsverzeichnisse hat man einfach mehr Spaß, wenn man sich gelegentlich mit ernst gemeinten Exempeln dieser Gattungen beschäftigt, als wenn einem deren Originalton weitgehend unvertraut ist. Das ist in dem neuen Band nicht anders. Zwei der Geschichten zum Beispiel machen sich lustig über die jüngste Neigung ambitionierter Feuilletons, ihre Leser in haltlos tosendem Fachjargon über die jeweils neuesten naturwissenschaftlichen Welterklärungsmodelle auf dem Laufenden zu halten. In einer anderen wird das „Diätbuch“ von Friedrich Nietzsche gefunden, in dem die gesamte Philosophiegeschichte unter dem Hinblick auf Ernährungsvorschriften zu ihrem ultimativem Schlusspunkt getrieben wird: „Also aß Zarathustra“. In einem reinen Dialogstück wiederum verhöhnt Allen die überschwappende Sensationslust, mit der Prozesse gegen Prominente öffentlich regelrecht ausgeweidet werden – was er ja schmerzhaft am eigenen Leibe erfahren hat. Neu in diesem Buch ist dagegen die Eigenheit Allens, manchen seiner Storys kuriose Zeitungsmeldungen voranzustellen – über eine Versteigerung extrem kostspieliger Trüffel zum Beispiel, über Textilien mit fest eingewobener Geruchsnote oder bei eBay zum Verkauf angebotene Gebete – um dann in der nachfolgenden Erzählung einige komische Aspekte solcher neuen Themen durchzuspielen. Manche der angelsächsischen Rezensenten wollten deshalb in seinen Geschichten Satiren sehen auf eine immer gründlicher aus den Fugen geratende, sich in immer aberwitzigere Irrwege verrennende Luxuswelt. Doch letztlich fehlt Allen für so etwas der Ingrimm, fehlt ihm jene Portion aufgebrachter Besserwisserei und Rechthaberei, ohne die Satiriker nur selten auskommen. Nein, der Witz in Allens neuen Geschichten speist sich genauso wie der seiner alten vor allem aus seiner Lust an absurden Kontrasten. Er will nicht mit satirischen Überspitzungen das Weltgewissen aufrütteln, sondern er kombiniert so schwung- wie kunstvoll Themenkreise, die gewöhnlich nichts miteinander zu tun haben, und freut sich dann an den Funken, die dabei fliegen. „Das ewige Nichts ist okay, wenn man entsprechend gekleidet ist“, lautet eine der klassischen Pointen aus den frühen Geschichten. Oder: „Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch mal, am Wochenende einen Klempner zu kriegen.“ In dem neuen Buch klingt das dann so: „Die große Frage der Philosophie bleibt: Wenn das Leben sinnlos ist, wie lässt sich die Buchstabensuppe erklären?“ Oder so: „Spinoza ernährte sich spärlich, weil Gott für ihn in allen Dingen wohnte und weil man nicht so ohne Weiteres einen Fleischklops verschlingen kann, wenn man das Gefühl hat, Senf auf den Urgrund alles Seins zu streichen.“ Auch in Sachen Komik hat jeder das Recht auf seinen persönlichen Geschmack, und es hat wenig Sinn, anderen vorschreiben zu wollen, worüber sie lachen sollen und worüber nicht. Ich finde Woody Allens Geschichten nach wie vor sehr lustig und das Verfahren, mit dem er seine Lacher herauskitzelt, klug und effizient. Dennoch: Das neue Buch ist nicht ganz frei von den Problemen, die jeden Komiker einholen, der seinen komischen Verfahren über Jahrzehnten die Treue hält. Für jemanden, der Allens Witz-Strategien gut kennt, kommen die Pointen heute eben nicht mehr so unerwartet und abrupt wie früher – und das verringert ihre Wirkung. Kaum dass in seinen Sätzen irgendein hochtrabender, gewichtiger Begriff wie „Sinn des Lebens“ oder „Gott“ auftaucht, geht man in Habachtstellung und wartet darauf, dass nun etwas betont Banales folgt, wie „Senf“ oder „Buchstabensuppe“, was für den komischen Kontrast sorgt. Das soll natürlich nicht heißen, dass es ein Großmeister wie Allen nötig hätte, jede seiner Pointen nach dem gleichen Muster zusammenzuzimmern. Gerade in dem neuen Buch gibt er, so kommt mir vor, seiner Neigung zum Absurden noch hemmungsloser die Sporen, was zu wunderschönen überdrehten Effekten führt. In einer der Geschichten tritt ein cooler, aber gesundheitsbewusster Kommissar auf. Da er aus Imagegründen nicht aufs Rauchen verzichten kann, „behilft er sich mit Schokozigaretten. Wenn er sie anzündet, schmilzt die Schokolade und tropft ihm auf die Hose, weshalb er mehr Geld für die chemische Reinigung aufwenden muss, als für ein Polizistengehalt gut ist.“ Wenig später verhört er dann zwei Verdächtige, „die ihre Unschuld beteuern und behaupten, ein Bauchredner und seine Puppe zu sein. Gegen zwei Uhr früh knickten sie bei der unbarmherzigen Vernehmung ein, die klugerweise auf Französisch geführt wurde, eine Sprache, die sie beide nicht beherrschten und in der sie folglich nicht lügen konnten.“ Indirekt macht die Lektüre des neuen Buches dennoch verständlich, weshalb der Regisseur Allen von Film zu Film so konsequent die Genres und Stilmittel wechselt. Hier sorgt er sehr bewusst dafür, so unberechenbar und überraschend wie möglich zu bleiben. Im Vergleich dazu ist sein literarisches Repertoire schmal: Er liebt den abgebrühten Tonfall harter Detektivgeschichten, das Vokabular betont intellektueller Texte oder auch den leicht hysterischen Jargon verschrobener Künstlermilieus, denn die verleihen seinen Geschichten eine Fallhöhe, die seinen Gags sehr zuträglich ist. Die Bandbreite der erzählerischen und sprachlichen Ausdrucksmittel eines Autors wie Robert Gernhardt zum Beispiel, der sich in erster Linie als Schriftsteller und nicht wie Allen als Filmer betrachtete, war da ungleich größer. Dennoch sind die Bücher Allens mehr als nur amüsante Fingerübungen eines großen Kinogenies. In ihnen schwingt, wie in seinen Filmen, hinter all ihrer vergnüglichen Aufgeregtheit und ihrem rasend schnellen Witz eine leise, sehr menschliche Melancholie mit. Gerade weil seine Geschichten sich letztlich nicht in purer Anarchie üben, weil sie nicht aggressiv und besinnungslos nur auf den nächsten Lacher aus sind, merkt man ihnen immer wieder für Momente eine tief sitzende Trauer darüber an, dass die Welt so ist, wie sie ist.
Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 1. September 2007
Woody Allen „Pure Anarchie“. Storys Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch. Verlag Kein & Aber, Zürich 2007 188 Seiten, 17,90 €