Die sonderbare Karriere der Frau Choi

Birgit Vanderbeke erzählt vom Aufstieg eines Dorfs in Südfrankreich
Aus literarischer Sicht ist gegen die Provinz nichts zu sagen. Ein Schriftsteller kann im kleinsten Dorf die ganze Welt entdecken, kann vor den staunenden Augen seiner Leser im Mikrokosmos des Zusammenlebens von einer handvoll Menschen den Makrokosmos einer ganzen Gesellschaft entfalten. Wenn er es kann. Eine große Liebe zum Detail gehört dazu, die Fähigkeit, den Figuren tief in ihre Seelen zu schauen und vor allem die Bereitschaft, das Personal nicht kurzerhand in Schafe und Böcke, Gute und Schlechte, Sympathische und Unsympathische zu sortieren. Denn zum einen machen solche schnurgraden Frontverläufe eine Geschichte nicht gerade spannend, zum anderen lehrt die Erfahrung, dass Menschen gewöhnlich ambivalente Geschöpfe sind und nur selten durch und durch böse oder durch und durch liebenwert. In ihrer neuen Erzählung berichtet Birgit Vanderbeke von der Geschichte eines winzigen südfranzösischen Fleckens und der „Sonderbaren Karriere der Frau Choi“ in dieser ländlichen Welt vom Beginn der neunziger Jahre bis heute. Sie tut das im typischen Vanderbeke-Sound, einem lakonischen Parlando, das sich durch eine spielerisch vorgetäuschte Naivität und durch regelmäßige Wiederholung einiger feststehender Wendungen um ironische Pointen bemüht. Frau Choi stammt aus Korea, aus Gwangju und lässt sich mit ihrem kleinen Sohn in dem französischen Dorf nieder. Sie stößt als Ausländerin nicht auf Ablehnung, sondern ist mit ihrer unermüdlichen Tatkraft „schnell vom ganzen Ort hoch geachtet“. Tatsächlich gelingt es ihr fast im Alleingang, das aus der Welt gefallene Nest behutsam aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken und für einen sanften, kulturell anspruchsvollen und natürlich ganz und gar nicht zerstörerischen Tourismus zu erschließen. Die Geschichte ist nicht zuletzt deshalb literarisch so reizlos, weil Frau Choi immer alles richtig und nie einen Fehler macht. Mit federleichter Hand gewinnt sie ihre neuen Nachbarn für sich, räumt alle bürokratischen Hindernisse für ihre Pläne aus dem Weg, zieht genau die zahlungskräftigen, aber unaufdringlichen Gäste an, von denen jeder Fremdenverkehrsort nur träumen kann, bietet in ihrem architektonisch hinreißend gestalteten Restaurant nur die schmackhaftesten und zugleich gesündesten Speisen an. Nebenbei erzieht sie noch ihren Sohn zu einer perfekten Mischung aus Selbstbewusstsein und Respekt. Das klingt alles ein wenig zu schön, um wahr zu sein. Doch nicht nur beim Entwurf der Handlung, sondern auch mit ihrer Hauptfigur hat es sich Birgit Vanderbeke erstaunlich leicht gemacht. Denn Frau Choi ist der klassischen Klischee-Asiatin präzise aus dem Gesicht geschnitten, sanft, fleißig, von wunderbarer Weisheit und dabei immer ein wenig undurchschaubar. Das einzige Motiv, mit der Birgit Vanderbeke das Charakterbild ihrer Heldin aufraut, ist nicht eben subtil. Denn Frau Choi, die als geniale Köchin nebenbei manches hartnäckige Leiden ihrer Nachbarn durch Naturkost oder geheimnisvolle Pülverchen heilt, neigt offenbar zum Giftmord. Schon ihr Mann, ein Holländer, ist eines unklaren Todes gestorben. Dann trifft es den Bürgermeister, der mit dem Ort andere Ziele – schlechtere, versteht sich – verfolgte als sie. Schließlich serviert sie einem Gast, der eine ihrer Mitarbeiterinnen belästigt und bedroht, ein Gericht mit verdächtiger Pilzbeilage und prompt haucht auch der sein Leben aus. Über den Ehemann erfährt man wenig, aber die beiden anderen Opfer sind ausgemachte Widerlinge, so dass Frau Choi nicht wirklich als finstere Killerin, sondern eher als Retterin dasteht – und es niemanden in moralische Turbulenzen stürzt dürfte, wenn er liest, dass sogar zwei einschlägig ausgewiesene Wissenschaftler ihren sehr speziellen Zutaten nicht auf die Spur kommen. Birgit Vanderbeke hat mit „Muschelessen“ (1990) auf den Spuren Thomas Bernhards eine eindrucksvolle Familienschreckensgeschichte und mit „Alberta empfängt einen Liebhaber“ (1997) eine kunstvoll schillernde, ganz zarte Liebesgeschichte geschrieben. Sie schien auf gutem Weg, eine der wichtigen Erzählerinnen der deutschen Literatur zu werden. Doch die Bücher, die sie in den letzten Jahren vorgelegt hat, von „Geld oder Leben“ (2003) über „Sweet Sixteen“ (2005) bis jetzt zur „Karriere der Frau Choi“ sind von ernüchternder Dürftigkeit. Hier ist eine talentierte Autorin in eine lang anhaltende Krise geraten. Bleibt zu hoffen, dass sie bald zu ihrer alten literarischen Kraft zurückfindet.

Birgit Vanderbeke Die sonderbare Karriere der Frau Choi S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 124 Seiten, 16,90 €

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