Zwei Romane von Christoph Hein als „Deutschlandprojekt“ im Frankfurter Schauspielhaus
Der Erzähler und Dramatiker Christoph Hein hat gut ein Dutzend Theaterstücke geschrieben. Was also liegt näher für die Schauspielhäuser in Leipzig und Frankfurt am Main, als mit vereinten Kräften zwei seiner Romane auf die Bühne zu stellen – und das ein „Deutschlandprojekt“ zu nennen. Der Roman „Horns Ende“ wurde 1985 veröffentlicht und erzählt von dem Historiker Horn, der in den fünfziger Jahren aus der SED ausgeschlossen und in das Provinznest Bad Guldenberg strafversetzt wird. An dem fragwürdigen Urteil und der engherzigen Atmosphäre der Kleinstadt reibt er sich über Jahre hinweg wund. Als man ihm erneut ideologische Verfehlungen vorwirft, hängt sich auf. Sicher, das Buch beschränkt seine Kritik am SED-Regime auf die frühen Jahre der DDR. Doch als „Horns Ende“ fünf Jahre vor dem Mauerfall erschien, war selbst das für einen Autor, der in Ost-Berlin lebte, alles andere als bequem. Heins Neigung zu politisch unbequemen Themen zeigt sich auch in seinem Roman „In seiner frühen Kindheit ein Garten“, der vor zwei Jahren erschien. Hier orientierte er sich an der Affäre um die mißglückte Verhaftung der Terroristen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld 1993 in Bad Kleinen. Eine Zeugin sagte damals aus, der verletzte Grams sei von einem Polizisten regelrecht hingerichtet worden. Innenminister und Generalbundesanwalt traten zurück. Obwohl Beweismittel verschwunden waren, gab die Bundesregierung eine Ehrenerklärung für die beteiligten Beamten ab. Bis heute weiß die Öffentlichkeit nicht genau, was sich in Bad Kleinen abspielte. Bei Christoph Hein heißt der Getötete Zurek und der Roman entfaltet dessen Geschichte aus der Perspektive seines Vaters, eines pensionierten Schulleiters. Der will die Behörden mit allen rechtlichen Mitteln dazu zwingen, die zahllosen Ungereimtheiten der Affäre aufzuklären. Wie Horn wurde auch Zureks Sohn früh durch ein fragwürdiges Verfahren in die Konfrontation mit dem Staat getrieben: Er saß wegen nie bewiesener Vorwürfe ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, danach erst tauchte er in die Illegalität ab. Doch Verbrechen konnten Zurek jr. nie nachgewiesen werden. Ist er letztlich als Unschuldiger erschossen worden? Armin Petras, der in beiden Fällen Regie führt, rückt nicht die politischen Aspekte der zwei Geschichte in den Mittelpunkt. Das sächsische Provinz-Trauerspiel „Horns Ende“, das er zunächst im sächsischen Leipzig uraufführte, löst er auf in einen Reigen nur flüchtig verbundener, schlichter Kurzszenen. Das Bühnenbild (Kathrin Frosch) zeigt durch ein großes Fenster ein Landschaftsidyll, das, wie die sozialistische Utopie, in weiter Ferne liegt. Im ärmlich möblierten Vordergrund aber vergiften sich die Menschen ihre Leben mit Mutlosigkeit, Brutalität und Intrigen. Zu Anfang gibt Petras den Schauspielern noch Gelegenheit, die Figuren, die sie verkörpern, auch zu spielen. Ronald Kukulies als illusionsloser sozialistischer Polit-Manager und Bettina Riebesel als ums Leben betrogene alleinerziehende Mutter sind zunächst eindrucksvoll. Dann aber müssen sich alle wieder in den bei Petras üblichen Hampeleien ergehen, müssen gegen Möbel treten, Blutsturz markieren, die Hosen runterlassen, den nackten Hintern zeigen. Ganz anders die zweite Romanbearbeitung (von Jens Groß). Die in Hessen angesiedelte Geschichte hatte jetzt im hessischen Frankfurt Premiere. Petras, der sich in Frankfurt bislang darauf beschränkte, klassische Dramen bis zur Unkenntlichkeit zu zerstören, verwandelt den Stoff in ein konzentriertes, psychologisch ausgefeiltes Kammerspiel. Der Vater (Andreas Leupold) ist vom Tod des Sohns wie gebannt und verläßt seinen Platz am Tisch nicht mehr. Die Mutter (Friederike Kammer), eine gnadenlos fürsorgliche Glucke mit Gesundheitsschuhen und Twin-Set, hat in der Seele ihres Sohnes vielleicht tiefere Verheerungen angerichtet als jede Terror-Ideologie. Auch hier zeigt das Bühnenbild, wie das zu „Horns Ende“, ein großes Fenster. Doch gibt es den Blick nicht frei auf eine hoffnungsspendende Landschaft, sondern ist mit Rolladen bleiern verschlossen: Keine Utopie, nirgends. In der Nachkriegswelt von „Horns Ende“ sind die Räume zwar schäbig, aber noch mit schäbigem Leben erfüllt. Dagegen ist in der Wohnung der Zureks das Leben längst vorüber. Die bloßen Drähte starren aus den Steckdosen, an den Wänden zeigen nur noch Flecken und Schatten, wo einst Möbel standen und Bilder hingen. Hier ist jeder Daseinsmut erloschen. Auch wenn Vater Zurek gegen Ende die Kraft finden, den Tod des Sohnes zu akzeptieren und sich von seinem Stuhl erhebt, bleibt er doch ein lebender Leichnam. Auch wenn man diese Diagnose, mit der Armin Petras wohl nicht nur Zurek, sondern das ganze Land meint, nicht teilt, bleibt dies doch die dichteste, überzeugendste Inszenierung, die er in Frankfurt je gezeigt hat.