Felicitas Hoppes Roman lockt mit verborgenem Hintersinn
Felicitas Hoppe gehört zu den Schriftstellern, die traditionell erzählte Romane für eine überholte, ziemlich verstaubte Angelegenheit halten. „Die Zeit der Romane alter Ordnung ist, wie die Ordnung selbst, längst vorbei“, heißt es in einem ihrer Essays. Ihr neues, drittes Buch „Paradiese, Übersee“ trägt zwar dennoch den Untertitel Roman, hat aber mit der landläufigen Vorstellung, ein Roman schildere eine logisch nachvollziehbare, zusammenhängende Geschichte, wenig gemein. Ihr Buch zerfällt in drei Teile. Im ersten sind zwei „Ritter“ und „Pauschalist“ genannte Figuren zusammen mit einem dreihundertjährigen, gelegentlich sprechenden Hund auf der Suche nach einem Doktor Stoliczka. Halb Europa haben sie bereits ergebnislos durchkämmt und schiffen sich nun in Lissabon ein, um in Bombay und Kalkutta die Suche fortzusetzen. Weshalb gerade dort, weshalb meist zu Pferd und weshalb überhaupt, bleibt offen. Im zweiten Teil berichtet ein offenbar noch recht junger Ich-Erzähler von seinen wenig freudvollen Erfahrungen mit Bruder, Schwester, Eltern und Schule. Den größten Teil seiner Zeit verbringt er, wenn man den Ortsnamen trauen darf, in luxemburgischen Kleinstädten – doch auf einer dem Buch beigegebenen Karte werden diese Orte irgendwo zwischen Niederrhein und Elbe verzeichnet. Schließlich schiebt ihm seine Schwester einen Brief „zwischen Herz und Rippen“(!), in dem etwas steht, „was das Herz und die Rüstung eines Ritters erweichen kann.“ Der dritte Teil beginnt mit Aufzeichnungen des gesuchten Doktor Stoliczka, der sich mit einem unbekannten Mann und einem klapprigen Pferd offenbar auf der Überfahrt nach Indien befindet. Auch der luxemburgische Ich-Erzähler mit familiären Sorgen taucht wieder auf und wird „Kleiner Baedeker“ genannt. Auf der letzten Seite öffnet er den ihm anvertrauten Brief und liest „in der schwungvollen klaren Handschrift meiner Schwester die Worte: DER RITTER, DAS BIN ÜBRIGENS ICH.“ Das alles, die Figuren, ihre Reisen, Gedanken und Kostüme machen natürlich herzlich wenig Sinn und – so viel muss man Felicitas Hoppe zugute halten – sollen auch keinen Sinn machen. Die Autorin will keine klar konturierten Charakteren mit überzeugenden Motivationen beschreiben. Statt dessen konstruiert sie eine Art literarisches Vexierbild. Sie knüpft zwischen den verschiedenen Kapiteln und Ebenen ihres Buches ein unübersehbares Netz von Verweisen, Korrespondenzen und Anspielung, die immer wieder auf einen geheimen, tief verborgenen Hintersinn des kryptischen Textes zu verweisen scheinen – die Suche des Lesers nach diesem Sinn aber zuverlässig ins Leere laufen lassen. Eben dies, die Vergeblichkeit aller Bemühungen um Sinn, ist zugleich ein Leitmotiv des Buches. Immer wieder wird es durchgespielt: Die Verfolger von Doktor Stoliczka haben für ihre Suche nach ihm nur sehr unklare Gründe; ihre Reisen führen zu keinem konkreten Ziel; ihre Jagd auf ein Fabeltier namens Berbiolette bleibt selbstverständlich erfolglos; ihre Versuche, sich untereinander oder auch nur mit sich selbst durch Notizen über ihr Tun zu verständigen, kommen nie zu irgend einem greifbaren Ergebnis. Selbst wenn Felicitas Hoppe ihre sich ständig verwandelnden Figuren vorübergehend als Drachen tötende, Jungfrauen rettende Märchenhelden ausstaffiert, finden sie immer noch keinen Ausweg aus ihrem ungeheuer hochtourigen existenziellen Leerlauf: „Hier erkannte der Pauschalist, dass der andere, genau wie er selbst, das Ungeheuer niemals finden würde, weil sie allzu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, weil sie nicht die geringste Ahnung davon hatten, was es mit der Rettung von Jungfrauen auf sich hatte.“ Wer unbedingt möchte, kann dieses Buch deshalb mit genießerischem Zungenschnalzen als ein demonstrativ selbstreferentielles literarisches System bezeichnen, das mit der Vorstellung der Ziel- und Zwecklosigkeit allen menschlichen Tuns spielt. Man sollte dann allerdings nicht verschwiegen, dass es sich dabei um ein recht zähes, eintöniges Spiel handelt, dass es kaum einen Funken Witz entwickelt und fast jeglicher Sinnlichkeit entbehrt. Verschwiegen werden sollte überdies nicht, dass in jedem besseren – traditionell erzählten – Kriminalroman weitaus eindrucksvollere Bilder für die hoffnungslose Vergeblichkeit allen menschlichen Wünschens und Wollens zu finden sind, als in diesem so überaus anspruchsvoll gebauten Text. Die größte Überraschung dieses Buches ist allerdings seine Sprache. Felicitas Hoppe galt, seit sie 1996 mit ihrem Erzählungsband „Picknick der Friseure“ debütierte, als wortgewaltige Autorin. Zwar konnte man sich schon damals an einer gewissen Vagheit und Selbstverliebtheit ihre Geschichten und ihres ersten Romans „Pigafetta“ (1999) stoßen. Doch die Autorin verstand sich zweifellos auf eine originelle, anmutige Prosa. Keine Spur davon in „Paradiese, Übersee“: Die Sätze sind zumeist unscheinbar, flach, glanzlos und nicht selten stößt man auf gründlich abgenutzte, klischeehafte Wendungen. Gern würde man, wenn man das Buch zugeschlagen hat, von einem Scheitern auf hohem oder zumindest höherem Niveau sprechen. Doch das wäre geprahlt. Die Zahl vergleichbarer literarischer Experimente ist groß, und viele davon sind zu weit reizvolleren Ergebnissen gekommen. Vor den Hintergrund einer klassisch gewordenen Moderne wirkt Felicitas Hoppes Roman ebenso traditionell wie die von ihr abgelehnten traditionell erzählenden Romane. So erweist sich ihr Buch letztlich als ein Beleg für die alte These, dass viele deutsche Autoren ihrem blinden Glauben an die Avantgarde von gestern zum Opfer fallen: Ihre theoretische Ambition verführt sie zur literarischen Prätention.
Felicitas Hoppe: „Paradiese, Übersee“. Roman
Rowohlt Verlag. Reinbek 186 Seiten, 16,90 Euro.