Ilija Trojanow erzählt von dem britischen Abenteurer Richard Francis Burton
Die deutsche Literatur der letzten Jahre verdankt den Abenteurern des 19. Jahrhunderts nicht wenig. Denn sie lieferten den spannenden Stoff zu drei wichtigen und erfolgreichen Romanen: Sten Nadolny widmete seine „Entdeckung der Langsamkeit“ den Polarfahrten John Franklins, Christoph Ransmayr seine „Schecken des Eises und der Finsternis“ der österreichischen Payer-Weyprecht-Expedition und Daniel Kehlmann seine jüngst erst erschienene „Vermessung der Welt“ nicht zuletzt den Forschungsreisen Alexander von Humboldts. Je abenteuerloser die Gegenwart zu werden scheint, desto anziehender und verlockender wirkt offenbar die abenteuerliche Vergangenheit auf Autoren und Leser. Ilija Trijanow erzählt in seinem jetzt durch die Leipziger Buchmesse preisgekrönten Roman „Der Weltensammler“ von den Abenteuern des Briten Richard Francis Burton (1821-1890). Burton gehörte zweifellos zu den eindrucksvollen Persönlichkeiten seiner Zeit. Er war ein Orientalist und Ethnologe, ein früher Sexualforscher und exzellenter Schwertkämpfer, er machte Entdeckungsreisen auf vier Kontinenten, sprach über 20 Sprachen, schrieb 60 Bücher, übersetzte das „Kama Surta“ und „Tausendundeine Nacht“ und diente seiner Königin als Konsul in Syrien, Brasilien und Triest. Trojanows Roman konzentriert sich auf Burtons Zeit in Indien, wo er unter anderem militärische Spionageaufträge erledigte, auf Burtons lebensgefährliche Pilgerreise nach Mekka und Medina, die ihn an einige für Nicht-Moslems streng verbotene Orte führte, und auf seine Ostafrika-Expedition, mit der er als erster Europäer den Tanganyikasee erreichte. Anders als Nadolny, Ransmayr oder Kehlmann legt Trojanow allerdings wenig Wert darauf, die dramatischen Erlebnisse seines Helden auch dramatisch zu schildern. Zumal wenn er von dessen Zeit in Indien und Arabien berichtet, sprengt er Burtons Biographie auf in ungezählte Splitter, springt hektisch hin und her zwischen Vor- und Rückblenden, Briefen oder Geheimberichten, Träumen und Fieberphantasien. Er sorgt so dafür, daß kein größerer erzählerischer Zusammenhang entstehen kann und jeder noch so zaghaft sich andeutende Spannungsbogen frühzeitig kleingehäckselt wird. Trojanow will offenkundig nicht die Geschichte eines Lebens erzählen, sondern vor allem zeigen, daß er im ambitionierten Spiel mit literarischen Formen zu glänzen weiß. Merkwürdigerweise verläßt ihn dieser Ehrgeiz im abschließenden Kapitel über Burtons Ostafrika-Reise, das vergleichsweise stringent geschrieben ist. Doch wenn er hier einer eher traditionellen chronologischen Erzählweise vertraut, warum dann nicht auch in den ersten beiden Abschnitten? Burton begann seine Karriere als Soldat der britischen Kolonialarmee. Auch wenn er alles andere als ein sturer, bornierter Kolonialist war, sind dennoch viele seiner Ansichten und Handlungen unübersehbar vom eurozentrischen Geist seiner Zeit geprägt. Kurz: Er entspricht in etlichen Punkten nicht den heutigen Vorstellungen von politischer Korrektheit. Um hier mit literarischen Mitteln für Ausgleich zu sorgen, bemüht sich Trojanow, jede von Burton bereiste und erforschte Weltgegend nicht nur aus der Perspektive seines Helden zu zeigen, sondern zugleich auch den reisenden Helden aus der Perspektive der Einheimischen. So gibt Trojanow zu Anfang immer wieder einem indischen Diener das Wort, der sich so gründlich um Burtons Wohlergehen bemüht, daß er ihm sogar eine Kurtisane vermittelt – in die er sich dann selbst verliebt. Ähnlich in dem Kapitel über Burtons „Hadsch“, seiner Pilgerfahrt nach Mekka und Medina: Hier läßt Trojanow regelmäßig eine türkisch-arabische Untersuchungskommission zusammentreten, die sich die Köpfe darüber heiß redet, welche islamischen Gesetze Burton mit seiner Reise verletzte, und ob er dabei Informationen nicht nur für die britische Wissenschaft, sondern auch fürs britische Militär sammelte. Und vom gefahrvollen Marsch zum Tanganyikasee erzählt unter anderem ein schwarzer Expeditionsteilnehmer, der nach der Rückkehr seine Familie und Freunde wissen lassen möchte, was für seltsame, komplett unberechenbare Wesen die Weißen doch sind. Dieses Kunstgriff Trojanows hat für den Roman allerdings zwei Nachteile: Zum einen entwickeln die einheimischen Erzähler erstaunlich wenig eigenes literarisches Leben. Man merkt ihnen überdeutlich an, daß sie in erster Linie als antikolonialistische Korrekturinstanzen gedacht sind, die relativieren sollen, was über Burtons waghalsige Unternehmungen berichtet wird. Zum anderen stammen diese fiktiven Gegenpositionen genau betrachtet eben nicht von Indern, Arabern oder Afrikanern des 19. Jahrhunderts, sondern naturgemäß von dem Europäer Trojanow. Und der legt bei dieser Gelegenheit den nichteuropäischen Zeitgenossen Burtons manches europaskeptische Argument von heute in den Mund. Was nicht nur in historischer Hinsicht fragwürdig ist, sondern seinerseits einen spürbaren Beigeschmack von retrospektiver kolonialer Bevormundung hat. Zu den Eigentümlichkeiten des Romans gehört, daß er einen recht uneinheitlichen Tonfall pflegt. Trojanow ist ein hoch gebildeter, kenntnisreicher und auch sprachbewußter Autor. Dennoch wird in vielen Passagen seines Buches nicht anschaulich erzählt, sondern eher spröde referiert. Gelegentlich hat man das Gefühl, der Autor weiß so viel über seinen Helden, daß er immer mehr Ideen und Erwägungen in seinen Text preßt, darüber aber die sinnliche Schilderung der fremden Welten, die Burton erforschte, aus den Augen verliert. Dann wieder scheint sich Trojanow der Reize seines Stoffs zu erinnern und sprachliche Glut gleichsam herbeizwingen zu wollen. Das klingt dann so: „Manchmal rülpste die pralle Stadt. Alles roch wie von Magensäften zersetzt. Am Straßenrand lag halbverdauter Schlaf, der bald zerfließen würde.“ Offen gestanden, ich kann mir wenig vorstellen unter halbverdautem Schlaf, der am Straßenrand zerfließt. In meinen Ohren klingt das nach saurem, spätexpressionistischem Kitsch.
Ilija Trojanow: „Der Weltensammler“. Roman Hanser Verlag, München 2006 473 S., 24,90 €