Im leeren Zimmer das All

Der Südkoreaner Kim Chi Ha ist ein engagierter Poet, ein Held, ein Schelm und ein Berg
Ja, es gibt sie wirklich: Die Dichter an denen Diktatoren sich ihre Zähne ausbeißen. Der Südkoreaner Kim Chi Ha ist so einer: Ein Poet, ein Held, ein Schelm, ein Berg. Ein Berg? Ich gebe zu, das klingt wie eine ziemlich pathetische Metapher. Aber sie drängt sich auf, wenn man Kim Chi Ha in seiner Wohnung irgendwo vor Seoul auf seinem Sessel sitzen sieht. Er ist kein Riese, er ist nicht groß oder massig wie ein Berg, sondern von gewöhnlicher, etwas gedrungener Gestalt. Aber er hat die Ruhe eines Berges. Er strahlt eine Unerschütterlichkeit, eine Gelassenheit aus, die an die Unverrückbarkeit der Berge erinnert. Er weiß das, und er schreibt das auch in seinen Gedichten: Unterhalb des Chongbal Berges, ein Apartment. In dem Apartment eingesperrt: ich. In mir der Chongbal Berg, im Chongbal Berg wiederum Sonne, Mond, Sterne und Wind. Für ein solches Leben, brauchte es wohl auch die Ruhe und die Unbeirrbarkeit eines Berges: Kim Chi Ha war noch nicht zwanzig, als er 1960 an den Studentenaufständen teilnahm, die den Diktator Song-man Rhee zum Rücktritt zwangen. Doch die Proteste flauten auch danach nicht ab, die Bürger forderten mehr Demokratie und die Wiedervereinigung mit dem Norden des Landes – bis sich der nächste Diktator, General Park Chung Hee an die Macht putschte. Seit jenem Jahr, seit 1961, gab es für Kim Chi Ha zwei gleichermaßen unbehagliche Gegenspieler: seine Tuberkulose, die ihn zu monatelangen Krankenhausaufenthalten zwang, und den Koreanischen Geheimdienst KCIA, vor dem er sich wieder und wieder verbergen mußte, und der ihn wieder und wieder verhaftete. Zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung wurde Kim Chi Ha mit dem langen Gedicht „Die fünf Banditen“. Nach der alten Regel, daß Lächerlichkeit zu den tödlichsten Waffen im öffentlichen Meinungsstreit gehört, stellte er die korrupten Machthaber des Regimes nicht nur bloß, sondern machte sich zugleich nach Kräften über sich lustig. Er nutzte dazu die Eigenheit der in Korea noch oft gebrauchten chinesischen Schriftzeichen, deren buchstäbliche Lesart einen anderen Sinn ergeben kann als deren phonetische Lesart. Zu den „Fünf Banditen“ seines Landes zählte er in seinem Gedicht nach buchstäblicher Bedeutung die Monopolherren, die Parlamentarier, die hohen Regierungsbeamten, die Generäle und die Minister samt Vizeminister. Nach phonetischer Lesart aber waren das in seiner Schreibweise: eine Meute toller Köter, bucklige, listige Hunde, verdienstlose Schweine, Gorillas und tolle Hunde, die in die aufgehende Sonne zwinkern. Damit stieg Kim Chi Ha nicht nur zum Helden, sondern auch zum Schelm, zum subversiven Clown unter den Regimekritikern auf. Und daß er sie nicht nur Banditen nannte, sondern ihnen dazu noch eine Nase drehte, verzieh ihm der Machtapparat des Diktators am allerwenigsten. Wieder einmal wurde er verhaftet – und mit ihm gleich der Herausgeber und sämtliche Redakteure der Zeitschrift, die das Gedicht gedruckt hatte. Entlassen wurde er erst, als sich seine Tuberkulose so radikal verschlechterte, daß er dem Tod näher schien als dem Leben. Nach eben diesem Muster ging es in den folgenden Jahren weiter. Kaum zu Kräften gekommen veröffentlichte Kim Chi Ha Gedichte oder publizierte Theaterstücke, woraufhin er wieder festgenommen und seine Gesundheit weiter ruiniert wurde. Zwei seiner groß angelegten Protestaktionen heizten die Stimmung der Bürger derart auf, daß die Regierung Notstandsmaßnahmen über das Land verhängte. Bis das Regime dann schließlich 1974 den Konflikt auf seine Weise zu beenden versuchte: Kim Chi Ha wurde verhaftet und am 13.Juli von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Wenig später begnadigte man ihn zwar zum lebenslänglicher Haft, doch das kam bei seinem Gesundheitszustand einem Todesurteil gleich. Man sperrte ihn, schrieb er später, in wechselnde, fensterlose, vier Quadratmeter kleine „kahle Zellen, mit nichts als stets schwach brennenden Glühbirnen, die einen nicht unterscheiden lassen, ob es Tag oder Nacht ist.“ Daß er das Gefängnis noch einmal für einige Monate hinter sich lassen und seine Krankheit in den Griff bekommen konnte, verdankt er einem internationalen Rettungskomitee, das mit hartnäckigem publizistischen Einsatz für seine Befreiung kämpfte und an dem unter anderem Jean-Paul Sartre, Noam Chomsky, Heinrich Böll und Willy Brandt mitarbeiteten. Doch nachdem er 1975 in einer der größten Tageszeitungen des Landes einen Bericht über seine Lebensbedingungen und Folterungen in den Straflagern veröffentlichte, wurde er erneut festgenommen und nun für die kommenden Jahre bis 1980 in Einzelhaft gehalten. Wie überlebt man so etwas? Vielleicht nur, wenn man die Ruhe und die Kraft eines Berges hat. Noch heute sprechen Kim Chi Has Gedichte von grenzenloser Einsamkeit und von der Erfahrung rabiater (Selbst-)Beschränkung auf das absolut Notwendigste. Im leeren Zimmer Bin ich allein, ich habe überlebt. Am Leben sein, am Leben sein. Im leeren Zimmer Ist das ganze All. Alle Geschöpfe leben, alle sind allein und springlebendig An einem klaren Herbsttag Bin ich im leeren Zimmer am Leben. Nach dieser jahrelangen Haftzeit kehrte Kim Chi Ha als ein anderer Mensch in das öffentliche Leben zurück, distanzierter und weniger aggressiv als zuvor. Der Diktator Park Chung Hee war inzwischen von seinen eigenen Sicherheitsleuten ermordet und von dem nicht minder brutalen General Chun Doo Hwan abgelöst worden. Doch Kim Chi Has Lyrik verlor in den achtziger Jahren mehr und mehr ihren kämpferischen und bissig satirischen Charakter. Nicht mehr das Leiden am Militärregime war ihr zentrales Thema, sondern das Leiden der Menschen schlechthin. Seine Gedichtbände eroberten Südkoreas Bestellerlisten und wurden zugleich von den Bürgerrechtlern des Landes scharf angegriffen. Ein Höhepunkt erreichte der Konflikt, als Kim Chi Ha 1991 in einem Manifest die Protestbewegung beschwor, die öffentlichen Selbstverbrennungen während der Demonstrationen gegen das Regime zu stoppen. Das Leben habe, erklärte er damals, ein höheres Recht als der Widerstand. Damit sei er, meinten manche seiner Gegner, der Demokratiebewegung in den Rücken gefallen. Wie schon viele engagierte Schriftsteller vor ihm mußte auch Kim Chi Ha die paradoxe Erfahrung machen, daß er mit dem Sieg seiner politischen Ziele umgehend einen Großteil der Aufmerksamkeit einbüßte, die er zuvor im Medienbetrieb seines Landes genossen hatte. Sobald sich die politischen Verhältnisse liberalisierten, sobald eine funktionierende Opposition in Parlament und Presse zur Selbstverständlichkeit wurde, richteten sich weit weniger Mikrophone und Kameras auf ihn, wenn er sich öffentlich gegen die Regierenden wandte. Dabei ist seine Kritik an der Situation des Landes und vor allem an der gigantischen Metropole Seoul heute vielleicht noch grundsätzlicher geworden als früher. Der rasend voranschreitenden Industrialisierung und Modernisierung Südkoreas versucht er eine sehr subjektive Ideen-Mixtur aus Buddhismus und Umweltschutz, Christentum, Schamanismus und konfuzianischen Traditionen entgegenzusetzen. Durchs verfaulte Fleisch der Stadt leuchten eitertriefend die dünnen Adern des alten Dorfs. Laß uns den Adern folgen, mein Freund Doch all die vergangenen und die noch andauernden Kämpfe dieses Lebens können die Ruhe Kim Chi Has offensichtlich nicht stören. Er lebt heute in einem Vorort Seouls in einem Bürohochhaus. Es ist eines unter Hunderten von Hochhäusern, die sich an einer zehnspurigen Straße entlang ziehen. Man kann es von den anderen unterscheiden, weil im Erdgeschoß in einem Showroom hinter riesigen Schaufenstern chromgrau schimmernde BMW-Limousinen auf Käufer warten. Gut zehn Stockwerke höher sitzt ein Dichter, der zwei Jahrzehnte lang ein zähes Duell mit den Diktatoren des Landes ausfocht und schreibt: Ach, Spatzen zwitschern, noch blühen Blumen, und am Himmel ziehen sogar weiße Wolken. Hingekauert im Apartment Kann ich ein Stück leeren Himmel sehen, deshalb ist auch mein Leben noch in Ordnung.

Kim Chi Ha: „Blütenneid“. Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2005 80 Seiten, 14,- €

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