Heimweg eines Davongekommenen

Harald Martenstein widmet seinen erster Roman der stillen Größe kleiner Leute
Harald Martenstein schreibt eine der komischsten Kolumnen, die man gegenwärtig in deutschen Zeitungen finden kann. „Komisch“ meint in diesem Fall allerdings nicht unbedingt „witzig“ in landläufigem Sinne. Martensteins „Lebenszeichen“ in der „Zeit“ sind eher skurril, sind auf entwaffnende, völlig ungeschützte Weise persönlich und neigen zu Ausflügen ins Verträumte und Phantastische. Sie sind unter all den vielen Artikeln, die da tagtäglich in adrett geordneten Spalten vor den Lesern zur Lektüre antreten, so etwas wie die glücklichen Narren, die aus jeder Reihe tanzen. Hier hängt einer seiner ureigenen Sicht auf die Welt nach, selbst auf die Gefahr hin, dass andere ihn deshalb für komplett verschroben halten. Genau das ist aber bekanntlich nicht die schlechteste Haltung, wenn ein Autor sich an einem Roman versuchen möchte. Denn ein Roman ist, wie uns Goethe schon verriet, nichts anderes als eine Geschichte, „in welcher der Verfasser sich die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe.“ Martenstein hat eine, soviel ist schnell klar nach den ersten Seiten des Romans „Heimweg“. Hauptfigur seiner Geschichte ist ein deutscher Landser namens Josef, der Anfang der fünfziger Jahre aus russischer Kriegsgefangenschaft ins zerbombte Mainz zurückkehrt. Doch vom Wirtschaftswunder, von der Gier und Hoffnung jener Zeit ist in seinem Leben wenig zu spüren. Josef hat, bevor der Soldat wurde, die Schönheitstänzerin Katharina geheiratet, und er hat den Krieg überlebt, das sind die beiden wichtigsten Leistungen seines Daseins. Viel mehr bringt er nicht zustande, er kehrt nicht als Held voller Tatendurst zurück, sondern als ein Davongekommener, der sich ausgelaugt und resigniert in die Heimat gerettet hat. Seiner Frau, der schönen Katharina, die das Leben gern leicht und die Männer gern stark hat, ist das natürlich gar nicht recht. Sie hat inzwischen mit ihrer Schwester eine bescheidene Nachtbar aufgezogen, in der sie sich von den Gästen nicht nur zum Trinken einladen lässt, sondern, wenn die Kasse stimmt, auch gern zu mehr. Doch selbst das betrachtet Josef weder als Kampfansage noch als plötzliche Chance auf eine Karriere als Kneipier oder Zuhälter – vielmehr registriert er es nur mit müdem Schulterzucken. Mit anderen Worten: Der Roman erzählt von Menschen, die selbst in Zeiten eines stürmischen sozialen oder wirtschaftlichen Aufschwungs den Anschluss verpassen und für immer am Boden bleiben. Doch wäre es ungerecht, sie deshalb herablassend als kleine Leute zu bezeichnen. Denn Martenstein zeigt, zu welcher Größe sie fähig sind, angesichts des Unglücks in ihrem Leben. Und davon haben sie wahrlich genug: Katharina schäkert immer häufiger mit Kerlen, die außer ihr niemand sehen kann und versinkt bald ganz in Wahnvorstellungen. Ihre Schwester bringt sich um, nachdem ihr Mann sie finanziell und gesundheitlich zugrunde gerichtet hat. Und Josef wird die Erinnerungen an zwei Russen, einen Soldaten und einen Jungen nicht los, die er hinter der Front erschossen hat. Vielleicht, so hat man den Eindruck, verpassen sie alle es auch deshalb, rechtzeitig auf den Zug in Richtung Zukunft aufzuspringen, weil sie nicht zu den Menschen gehören, die ihre Vergangenheit, die ihre Schuld und Scham abstreifen können wie ein altes Hemd. Martenstein ist kein großer Virtuose, wenn es darum geht, seine Figuren und ihr Milieu im Text sinnlich zu vergegenwärtigen. Das weiß er selbst und schreibt es auch. Es gibt für den Leser in diesem Roman wenig zu riechen, zu schmecken oder zu spüren. Dafür ist Martenstein ein kluger Psychologe, der überzeugend begreiflich machen kann, weshalb seine Figuren so handeln, wie sie handeln und weshalb sie es nie schaffen, vor den Augen der Welt zu Helden zu werden, obwohl die Gefasstheit, mit der sie ihr Leben ertragen, aller Anerkennung wert wäre. Großartig ist auch sein Einfall, einen Enkel von Josef und Katharina zum Erzähler des Buches zu machen, das Paar aber kinder- und folglich logischerweise auch enkellos sterben zu lassen – wodurch sich die ganze Geschichte im Rückblick ausnimmt wie eines jener schattenhaften Wahngebilde Katharinas. Am schönsten aber sind jene räsonierenden Passagen des Romans, in denen Martenstein seiner eigensinnigen Sicht auf die Welt ganz ungeniert nachhängt. Zugegeben, das erinnert nicht selten an ähnliche Passagen in seinen Kolumnen. Aber warum auch nicht? Hier hat jemand seinen Ton gefunden, und wenn ein Autor den so beneidenswert präzise beherrscht wie Martenstein, dann ist es, ob in einem Roman oder in einer Kolumne, immer ein Vergnügen, ihm zuzuhören.

Harald Martenstein: „Heimweg“. Roman C.Bertelsmann, München 2007 220 Seiten, 18,- €

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