Sätze jenseits der Zurechnungsfähigkeit

 Der Streit um Peter Handke und seine Stellungnahmen zum Balkankrieg eskaliert durch die Zuerkennung des Heine-Preises
Wenn Peter Handkes Theaterstück „Spiel vom Fragen“ von der Comédie Française wegen Handkes Engagement für Serbien vom Spielplan gestrichen wird, ist das ein Skandal. Wenn Handke nun aber mit ausdrücklichem Hinweis auf dieses politische Engagement der Heine-Preis zugesprochen wird, ist das ebenfalls ein Skandal – und zugleich ein Symptom. Um mit Frankreich zu beginnen: Daß sich Handke seit Beginn der Jugoslawienkriege zu einem unbelehrbaren Verteidiger des nationalistischen Regimes Slobodan Milosevics entwickelt hat, sorgt seit über einem Jahrzehnt für Aufregung im Kulturbetrieb. Marcel Bozonnet, der Chef der Comédie Française konnte, nein: mußte davon wissen, bevor er das schon 1989 geschriebene und also vom Krieg in Jugoslawien unberührte „Spiel vom Fragen“ auf den Spielplan seines Hauses nahm. Wenn Bozonnet das Stück absetzt, nachdem er verspätet von der Teilnahme Handkes an der Beerdigung Milosevics erfuhr, spricht das nicht nur dafür, daß er auffällig schlecht informiert ist, sondern vor allem dafür, daß er politische und literarische Argumente durcheinander bringt. Dürften nur jene Autoren auf die Bühne gebracht werden, die sich zeitlebens politisch unbedenklich geäußert haben, könnten die Theater mangels aufführbarer Werke gleich schließen. Der Heine-Preis wurde Handke nun aber nicht trotz, sondern wegen seiner politischen Positionen zuerkannt. Die Begründung der Jury lobt ihn nicht mit Blick auf seine Literatur, sondern weil er „seinen Weg zu einer offenen Wahrheit“ eigensinnig verfolge und er seinen poetischen Blick auf die Welt „rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale“ setze. Damit feiert die Jury Handke ausdrücklich für seine politischen Auftritte und Thesen, die man – milde formuliert – als verquast und bizarr bezeichnen muß. Um an ein Beispiel von vielen zu erinnern: Als die Nato 1999 Bombenangriffe auf Serbien flog, da sie einen Völkermord im Kosovo befürchtete, kommentierte Handke das in einem Interview: „Gut, jetzt hat die Nato ein neues Auschwitz erreicht.“ Auf die Gegenfrage, er könne doch Luftangriffe auf militärische Ziele nicht mit einem Vernichtungslager der Nazis gleichsetzen, beharrte er: „Damals waren es Gashähne und Genickschußanlagen; heute sind es Computer-Killer aus 5000 Meter Höhe“. Das sind Sätze ohne jedes Maß und jenseits jeder politischen Zurechnungsfähigkeit. Wenn eine Jury solche Verirrungen jetzt nachträglich mit dem Heine-Preis prämiert, ist das unverantwortlich. Es ist unverantwortlich – und zugleich ein Symptom. Denn Handke gehört, wie er einst programmatisch betonte, zu den „Bewohnern des Elfenbeinturms“ und versteht sich letztlich gar nicht als politischer Schriftsteller. Selbst große Verehrer seiner Kunst rätseln, wie er sich in seine blinde Milosevic-Verehrung hineinsteigern konnte. Im Grunde ist Handke ein später Nachfahre der Romantik, dem jedes Nützlichkeitsdenken, jeder Materialismus, ja jede rationale Aufklärung zutiefst suspekt ist. Er betrachtet sich als Poet, der in seiner Dichtung ein vormodernes, in mythischen, quasi-religiösen Gewißheiten geborgenes Lebensgefühl zu rekonstruieren versucht. Versunken in dieses Projekt einer literarischen Remythisierung der Welt, verwechselt Handke Serbien offenbar mit dem Land seiner romantischen Träume. Das „Volk der Serben“ lebt für ihn in einer heilen, von der Zerrissenheit der Moderne unberührten Zeit. Der aggressive Nationalismus Milosevics nahm sich in seinen Augen aus wie der Kampf einer archaischen, friedfertigen Bauernschaft um die Selbstbehauptung ihrer Kultur gegen den Terror eines dekadenten, technizistischen Westens. Um die demokratische Opposition Serbiens scherte Handke sich bei all dem einen Dreck und identifizierte Milosevic schließlich so sehr mit dem Land, daß er auf dessen Beerdigung behauptete, er stehe „an der Seite Jugoslawiens, an der Seite Serbiens, an der Seite Slobodan Milosevics“. Zu Beginn des Krieges war er noch klüger, da sagte er: „Ich bin mit dem serbischen Volk, nicht mit Milosevic.“ Nun ist es keine Überraschung, daß Romantiker, sobald sie ihre hochfliegende Ideen umstandslos mit politischen Zielen kurzschließen, zu hanebüchenen, ja lebensgefährlichen Handlungen neigen. In der deutschen Geschichte gibt es mehr als ein Beispiel dafür, wie falsch verstandener, realitätsblinder Romantizismus einer brutalen Machtpolitik in die Hände spielt. Gerade das aber macht die Entscheidung, Handke den Heine-Preis für seine politische Wirrköpfigkeit zuzusprechen, zu einem so deprimierenden Symptom: Offenbar ist auch im Literaturbetrieb manch einer noch immer nicht geheilt von der Neigung, in notorischen Elfenbeinturm-Bewohnern die besseren Weltenlenker zu sehen, denen sie selbst dann noch begeistert auf ihrem „Weg zu einer offenen Wahrheit“ folgen möchten, wenn diese sich im eklatanten Widerspruch zu den politischen Tatsachen befinden. Inzwischen melden sich immer mehr Kritiker der Jury zu Wort, die dem Düsseldorfer Stadtrat empfehlen die Preisverleihung zu verhindern. Der Rat muß nämlich die Jury-Entscheidung noch bestätigen und SPD, Grünen und FDP, die zusammen die Mehrheit stellen, wenden sich heftig gegen die Wahl Handkes. Allerdings würde ein solcher Beschluß der Stadtpolitiker – wie bereits die Entscheidung der Comédie Française das „Spiel vom Fragen“ abzusetzen – Handke wieder in die Rolle des Verfolgten und Märtyrers bringen. Die Situation ist gründlich verfahren. Vielleicht wäre es ein Ausweg, die Jury – der unter anderem Gabriele von Arnim, Sigrid Löffler, Julius H. Schoeps und Christoph Stölzl angehören – dazu zu bewegen, in einer überarbeiteten Begründung nachdrücklich klarzustellen, daß der Heine-Preis dem Schriftsteller Handke und eben nicht seinen abwegigen politischen Positionen gilt.

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