Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft
Es ist eine dieser Geschichten aus dem Holocaust, die einen noch Tage später verfolgen: Hertzko Haft wurde 1925 als Sohn einer armen jüdischen Familie geboren. Mit 15 verschleppen ihn die Nazis in die Arbeitslager Poznan und Strzelin. 1943 wird er ins KZ Auschwitz eingeliefert. Da er jung und stark ist, teilt man ihn den Männern zu, die gezwungen werden, die gerade durch Gas getöteten Menschen in die Öfen des Krematoriums zu befördern. Haft hält die grauenvolle Arbeit nicht durch, bricht zusammen und wird aus purem Zufall nicht getötet, weil ein deutscher Offizier ihn für persönliche Interessen einsetzen will. Erst bringt ihn dieser Offizier in der Baracke unter, in dem die Kleider der Ermordeten nach Wertsachen durchsucht werden und verlangt von Haft, über Wochen hinweg einige der wertvollsten Stücke heimlich für ihn zu unterschlagen. Als der Schmuggel auffliegt, wird Haft fast zu Tode gefoltert, aber von dem Offizier wieder gerettet und in das Nebenlager Jaworzno verlegt. Dort lässt er ihn als Boxer aufstellen, der zur Unterhaltung des Wachen wöchentlich fünf bis sechs weit unterlegene Gegner in einem improvisierten Ring bewusstlos schlagen soll. Haft ist ein athletischer Mann und entwickelt sich zu einem kraftvollen Puncher. Schließlich kann er sogar einen jüdischen Ex-Champion aus Frankreich schlagen, der im Gefolge hoher Militärs zum Schaukampf nach Jaworzno gebracht wurde. Als die sowjetische Armee näher rückt, wird Haft mit anderen Häftlingen in Todesmärschen in weiter westlich gelegene Lager geschickt. Auf einem dieser Transporte gelingt ihm im April 1945 die Flucht. Nach der Kapitulation macht man ihn in Straubing unter der Hand zum Leiter eines Bordells für amerikanische Soldaten, bevor er 1946 in München bei einer jüdischen Boxmeisterschaft siegt und ein paar Monate später in die USA auswandert. Auch hier macht er als Boxer Karriere – und bringt es unter dem Namen Harry ‚Herschel’ Haft 1949 sogar bis zu einem Kampf gegen den späteren Schwergewichts-Weltmeister Rocky Marciano. Allerdings geht er schon in der dritten Runde endgültig zu Boden. Nicht nur, weil ihm Marciano überlegen ist, sondern auch – so hat es Haft dem Autor dieses Buches, seinem Sohn Alan Scott Haft, erzählt – weil ihm drei finstere Männer vor dem Kampf versicherten, ihn umzubringen, fast er Marcianos Sieg gefährdet. Das Buch ist ein knapper Bericht ohne literarische Ambitionen. Er wird abgerundet durch drei Nachworte, in denen Hafts haarsträubenden Erinnerungen von Historikern bestätigt werden. Vor allem die Boxkämpfe im KZ Jaworzno vor johlendem Wachpersonal wirken wie groteske Fantasien Quentin Tarantinos, sind aber im Archiv des Auschwitz-Museums belegt.
Der Artikel erschien in der „Welt“ vom 7. November 2010
Alan Scott Haft: „Eines Tages werde ich alles erzählen“. Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Patrick Bartsch. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 191 Seiten, 16,90 € ISBN 978-3-89533-638-6