Hans Christoph Buch erzählt von einer politisch äußerst unkorrekten Reise um die Welt
Wissen wir, wie es in der Welt zugeht, nur weil sie uns täglich übers Fernsehen ins Haus geliefert wird? Wissen wir, was Krieg ist, nur weil wir in den Zeitungen die Meldungen über Afghanistan lesen? Hans Christoph Buch ist einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die sich ihre Meinung zu den Konfliktherden unserer Zeit nicht nach Aktenlage bilden, sondern der als Reporter in Kriegs- und Krisengebiete reist, um sich selbst ein Bild zu machen. „Es gibt“, schrieb er in seinem beeindruckenden Reportagen-Buch „Blut im Schuh“ (2001), „existentielle Herausforderungen, denen ein Autor sich stellen muss, wenn er etwas über sich und die ihn umgebende Welt herausfinden will, was er nicht schon vorher gewusst hat. Ich rede von Grenzsituationen wie Geburt und Tod, Gefängnis und Exil, Folter und Krieg, die man, weil die Einfühlung versagt, nicht zu Hause am Schreibtisch nachvollziehen kann.“ Das klingt heroisch, ist aber, genau betrachtet, ein zweischneidiges Unterfangen. Denn auch wenn ein Schriftsteller zu den Schlachtfeldern dieser Welt mit dem respektablen Ziel fährt, die Öffentlichkeit mit ungefilterten, authentischen Erfahrungen zu konfrontieren, ist ein solcher Konflikttourismus dennoch nie frei von fragwürdiger Sensationsgier und Abenteuerlust. Buch ist ein intelligenter Autor, und also ist ihm dieser Aspekt seiner Reisen nicht entgangen. Er spricht davon, einer „Sucht“ verfallen zu sein nach jener Erlebnisintensität, die sich bei Kampfhandlungen und in katastrophalen Ausnahmesituationen oft herstellt, und gegen die der Alltag in gut geordneten gesellschaftlichen Verhältnissen belanglos und fade wirken kann. Doch das ist nicht alles. Exotik und Erotik sind zwar keine Schwestern, aber dennoch verwandt. In der Sehnsucht nach fernen Länden schwingt nur zu oft etwas von sexueller Entdeckungslust mit. Umso mehr, wenn das Reiseziel von Not oder Chaos gezeichnet ist und die Zügel der Zivilisation, die das Triebleben sonst an die Kandare nehmen, sich dort spürbar gelockert haben. Vom Ausnahmezustand zur Ausschweifung ist es kein so weiter Weg, wie es auf dem ersten Blick den Anschein hat. Doch davon liest man nicht allzu häufig bei Kriegberichterstattern, denn auf niemanden wirft es ein vorteilhaftes Licht, wenn er in fernen Weltgegenden angesichts des nackten Elends dort ausgerechnet seine Gier auf nackte Haut auslebt. Hans Christoph Buchs neues Buch „Reise um die Welt in acht Nächten“ legt in diesem Punkt allerdings auffällig wenig Scheu an den Tag. Es nennt sich im Untertitel „Abenteuerroman“, auch wenn sich die acht Kapitel fast immer wie literarischen Reportagen lesen. Jedes Kapitel berichtet von einer anderen Reise, mal nach Bombay oder Islamabad, mal nach Mali oder Haiti, mal in den Senegal oder den Kongo. Doch ihr jeweiliges Hauptthema sind nicht die bereisten Länder, sondern ist letztlich der Erzähler selbst, der allerdings gegen Ende behauptet, gar nicht von eigenen Abenteuern zu berichten, sondern von denen eines Doppelgängers namens „Dschungel-Rudi“. „Jede Reise ist ein Fluchtversuch aus dem Gefängnis der Identität“, heißt es in diesem Roman und passend dazu betreibt das Buch ein Verwirrspiel der Identitäten. Schon deshalb muss man sich hüten, die darin geschilderten Träume, Phantasien oder auch Erlebnisse seinem weltreisenden Autor persönlich zuzurechnen. Dennoch ist es ein Schock, im Reportage-Ton und aus der Ich-Perspektive von der makaberen Attraktivität einer an AIDS-infizierten Prostituierten in Mali zu lesen, von der Verführungskraft indischer Transvestiten, Hijas genannt, von Eskapaden mit minderjährigen Mädchen (in Bombay) und Jungs (auf Haiti), oder vom (halluzinierten?) Mord an einer Zwölfjährigen in einem von Kakerlaken und Mäusen überschwemmten Hinterhaus irgendwo im pakistanischen Peshawar. Natürlich geht es in den acht Geschichten nicht immer nur um Sex, immer aber um radikale Grenzverletzungen. So macht sich der Ich-Erzähler, animiert von dem reißerischen Gerücht, im Kongo gebe es auch heute noch Kannibalen, während seiner Reise durch das zentralafrikanische Land auf die Suche nach schmackhaft zubereitetem Menschenfleisch. Falsch wäre es, das alles wortwörtlich als Tatsachenberichte zu verstehen. Viel eher sind es Versuche, all den exotischen Ländern, die durchs Fernsehen eine scheinbare Vertrautheit gewonnen haben, mit den Mitteln literarischer Vorstellungskraft wieder einen Hauch ihrer schockierenden Fremdheit zurückzugeben. Eine Fremdheit, die bei dem Reisenden mit den vertrauten Grenzen auch die moralischen Standards fortschwemmen kann.
Die Artikel erschien in der „Welt“ vom 17. Oktober 2009
Hans Christoph Buch: Reise um die Welt in acht Nächten. Ein Abenteuerroman
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009 255 Seiten, 19,90 € ISBN 978-3-627-00164-3