Über Pilger und Flaneure, Touristen und Urlauber

Nicht jeder Bestseller lohnt die Mühe, ihn zu lesen. Aber fast jeder Bestseller reizt zu endlosen Mutmaßungen über die Gründe seines Erfolgs. Warum war gerade dieses Buch das richtige zum richtigen Zeitpunkt für so viele Leser? Was verrät es uns über Herz und Hirn seiner Käufer? Das Lieblingsobjekt solcher Spekulationen ist zurzeit Hape Kerkelings Pilgerreisebericht „Ich bin dann mal weg“ – dem mit einer Auflage von 2,7 Millionen meistverkauften Sachbuch 2007. Und es scheint die Antwort auf die Frage, was hinter seinem Erfolg steckt, wie auf einem Präsentierteller mitzuliefern, nämlich ein heute wieder wachsendes Interesse an spirituellen, religiösen Themen. Ganz von der Hand zu weisen ist diese These wohl nicht – auch wenn die Kirchen vom flott herbeidiagnostizierten Trend zum Glauben in keiner Weise profitieren: Noch immer übersteigt die Zahl der Kirchenaustritte die der -eintritte um ein Mehrfaches. Auch Kerkeling sucht, nebenbei gesagt, sein privates religiöses Glück nicht im Schoße einer institutionalisierten Glaubensgemeinschaft und sein Buch ist kein frommes Traktat, sondern eher eine Art Selbsterfahrungsreportage. Genauer betrachtet liegt einer Pilgerreise nämlich ein recht weltliches Verständnis von Spiritualität zugrunde. Der Pilger setzt sich ein diesseitiges Ziel, zu dem er strebt. Er meint, sein Heil sei nicht an dem Ort zu finden, an dem er lebt, sondern in der Ferne – und macht sich auf seinen persönlichen Heilsweg. Als Pilger lässt er zunächst einmal all die Zwänge und Verpflichtungen hinter sich, die das tägliche Leben gewöhnlich ausmachen. Zum anderen nähert er sich Schritt für Schritt langsam, aber stetig dem selbst gewählten Heilsort und kann sich deshalb un- oder halbbewusst in dem schönen Gefühl wiegen, für ihn werde allmählich alles besser. „Das Ziel, der gesetzte Zweck der Pilgerreise“, schreibt der Soziologe Zygmunt Bauman, „gibt dem Formlosen Form, macht aus dem Fragmentarischen ein Ganzes, verleiht dem Episodischen Kontinuität.“ Hier zeigt sich der Unterschied des Pilgers zum Spaziergänger oder Flaneur. Der Spaziergänger hat kein Ziel, er genießt die Vielfalt der Dinge, die ihm begegnen, ohne je damit zu rechnen, dass so etwas wie Heil im Diesseits zu finden ist. Auch der Tourist will üblicherweise nicht nur ein Ziel, sondern gleich mehrere Sehenswürdigkeiten besuchen. Und der Urlauber schließlich hat zwar nur ein Ziel, seinen sehr weltlichen Heilsort am Strand unter Palmen, doch dort sucht er nicht mögliche Erleuchtung, sondern handfeste Entspannung. Mit anderen Worten: Die Pilgerreise verknüpft die moderne Reiselust mit einem Angebot, auf sehr einfache Weise spirituelle Ordnung im eigenen Leben zu schaffen. Gehen sie einfach mal los, empfiehlt der Pilgerratgeber, irgendwas werden sie auf ihrem Weg schon finden, und das können sie dann als Trophäe ihrer Glaubens- oder Selbstfindung nach Hause tragen. Dass Bücher, die komplizierte Dinge auf Teufel komm raus simplifizieren, zu Millionenerfolge werden können, ist aber letztlich keine Überraschung.

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