Ein Verlag, drei Männer und zwei hundertste Geburtstage
Die Rowohlts sind eine deutsche Dynastie, eine Büchermacherfamilie von nicht eben landestypischem Temperament. Wo ein Rowohlt war oder ist, da war oder ist etwas los. Über ein dreiviertel Jahrhundert gehörten sie zu den Kraftwerken des literarischen Lebens hierzulande, und der von ihnen geschaffene und immer wieder neu geschaffene Verlag schnurrt bis heute weiter. 1908 brachte Ernst Rowohlt im Alter von nur 21 Jahren sein erstes Buch auf den Markt, den schmalen Lyrikband eines heute komplett unbekannten Klassenkameraden. Im gleichen Jahr brachte die Schauspielerin Maria Ledig den ersten Sohn Rowohlts zur Welt, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, dessen 100. Geburtstag am kommenden Mittwoch zu feiern ist. Das Abenteuer namens Rowohlt konnte beginnen. Die Biographie Ernst Rowohlts mit ihren diversen Verzweigungen ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Leidenschaft und Geld ein Verlegerleben braucht und verbraucht. 1910, nachdem er schon ein paar Bücher gemacht hatte, gründete Rowohlt in Leipzig zum ersten Mal seinen Verlag – zusammen mit dem gleichaltrigen Kurt Wolff, der keine Kenntnisse der Buchbranche, wohl aber eine Menge Geld mit einbrachte. Die beiden Teilhaber verstanden sich erst glänzend und publizierten mehr als 30 Titel jährlich. Doch schon 1912 kam es zum Bruch, nicht zuletzt weil der feingeistige Wolff die Energieausbrüche und permanente Partystimmung seines Partners nicht ertrug. Er zahlte Rowohlt aus, machte den Verlag unter eigenem Namen zum bis heute legendären Kristallisationspunkt des Expressionismus, errang höchste Anerkennung und verlor zugleich sein gesamtes Vermögen. Nach 1920 konnte er keine literarischen Werke mehr verlegen, 1930 musste es sein Haus endgültig schließen. Rowohlt machte nach der ersten, für ihn nur kurzen Zeit der Selbstständigkeit zunächst Zwischenstationen als Prokurist des S.Fischer- und Geschäftsführer des Hyperion-Verlags. 1919 dann, mit Beginn der Weimarer Republik, gründete er seinen Verlag zum zweiten Mal, jetzt in Berlin. Die Stadt, der Mann und die Epoche – die Roaring Twenties – passten perfekt zueinander. Seine Neigung zu großen Auftritten machte ihn schnell stadtbekannt und sein Einfallsreichtum in Sachen PR bald zu einer zentralen Figur des Literaturbetriebs. Mit Autoren wie Robert Musil, Kurt Tucholsky, Hans Fallada, Alfred Polgar und Walter Benjamin erwarb er beträchtliches Ansehen, mit Ernest Hemingway, Sinclair Lewis und Thomas Wolfe entdeckte er die amerikanische Literatur für die Deutschen, mit der von Willy Haas geleiteten „Literarischen Welt“ gab er zudem seit 1925 eine der meinungsbildenden Zeitschriften der Buchbranche heraus. Doch selbst ein Bestseller-Autor wie Emil Ludwig konnte den Verlag wirtschaftlich nicht langfristig stabilisieren. Spätestens nach der Weltwirtschaftskrise 1929 spitzte sich die Lage zu. Als Heinrich Maria Ledig-Rowohlt 1931 in den Verlag als Pressechef eintrat, stand der bereits vor der Insolvenz. Gerettet wurde er schließlich durch die Familie Ullstein, die einen Anteil von 60 Prozent erwarb und ihn so mehrheitlich ihren Zeitungskonzern einverleibte. Doch kaum hatte Rowohlt die ökonomischen Turbulenzen überstanden, geriet er durch die Machtübernahme der Nazis in politische Schwierigkeiten. Seine Sympathien galten in der Weimarer Republik eher der Linken, und er war mit zahllosen jüdischen Schriftstellern befreundet, doch hatte Rowohlt daneben auch so rechtslastige Autoren wie Arnolt Bronnen verlegt. Daran knüpfte er nach 1933 zunächst an, brachte nun Landserromane heraus, Sachbücher wie „Woher kommt das Hakenkreuz?“ oder den Bildband „Ein Volk steht auf. 53 Tage nationaler Revolution“. Doch die Nazis ließen sich weder davon, noch von Rowohlts Eintritt in die NSDAP 1937 täuschen, beschlagnahmten 140 Titel des Verlagsprogramms und erteilten Rowohlt schließlich 1938 Berufsverbot, weil er hartnäckig an seinen jüdischen Autoren und Mitarbeitern festhielt. Nach dem Krieg, in dem Ledig-Rowohlt als Soldat schwer verwundet worden war, gründeten Sohn und Vater – der 1945 mit der Schauspielerin Maria Pierenkämper seinen zweiten Sohn Harry bekam – den Rowohlt Verlag umgehend zum dritten Mal, nun in Hamburg und Stuttgart. Sie druckten unter anderem zu Pfennigpreisen Bücher auf dem Papier und in dem Format von Zeitungen, „Rowohlts Rotations Romane“ genannt, und erzielten damit in kürzester Zeit Millionenverkäufe. Dennoch geriet der Verlag mit der Währungsreform wieder in eine Finanzkrise – und musste diesmal durch vier Hamburger Geschäftsleute gerettet werden. Erst als Ledig-Rowohlt aus Amerika mit der Idee zurückkehrte, ein umfangreiches Taschenbuchprogramm zu starten, stabilisierte sich die Situation. Mit diesen billigen Ausgaben erzielte der Verlag schnell sensationelle Auflagen und konnte so mit Büchern von Hemingway und Graham Greene, von Sartre, Camus, de Beauvoir und später Henry Miller, die lange aus Deutschland ausgesperrte Literatur des westlichen Auslands popularisieren. Mit dem Start von „Rowohlt Deutscher Enzyklopädie“ 1955 und der „Rowohlt Monographien“ 1958 – vor genau 50 Jahren also – verfolgte der Verlag im Taschenbuch-Programm zugleich einen volkspädagogischen Bildungsanspruch, der sich zumindest in den ersten Jahren als sehr einträglich erwies. Nach dem Tode Ernst Rowohlts 1960 leitete Ledig-Rowohlt den Verlag weitgehend allein, auch wenn seinem erst fünfzehnjährigen Bruder Harry nun 49 Prozent des Unternehmens gehörten. Beide hatten zwar nicht den kraftstrotzenden Körper ihres Vaters, wohl aber manches von seinem trink- und feierfreudigen Charakter geerbt. So versorgten auch sie den Literaturbetrieb regelmäßig mit gern kolportierten Anekdoten oder Bonmots. Den Familientraditionen auf der Spur absolvierte Harry Rowohlt eine Verlagsausbildung bei Suhrkamp in Frankfurt und Grove Press in New York. Doch die Führung der Rowohlt-Geschäfte wollte er nicht übernehmen, sondern widmete sich lieber seinen ungewöhnlichen Talenten als Übersetzer, Vortragskünstler, Autor und Schauspieler. Also verkaufen die beiden Brüder 1982 – Ledig-Rowohlt war inzwischen knapp 75 – ihren Verlag über Vermittlung des befreundeten Werner Schoenicke an die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe. Seither wird er von wechselnden Verlagsleitern mit naturgemäß wechselnden Erfolgen geleitet, unter anderem von Matthias Wegner, Michael Naumann (dem späteren Kulturstaatsminister, Mitherausgeber der „Zeit“ und Hamburger SPD-Spitzenkandidaten), Nicolaus Hansen, Peter Wilfert bis hin zu Alexander Fest heute. Ledig-Rowohlts Leben endete – fast möchte man sagen: standesgemäß – 1992 auf einem Internationalen Verlegerkongress in Neu-Dehli. Harry Rowohlt, 1996 zum Ambassador of Irish Whiskey ernannt, sammelte für seine Übersetzungen und Bücher vom Jugendliteraturpreis bis zum Brüder-Grimm-Preis, von der Goldenen Schallpatte für seine „Pu, der Bär“-Lesung bis zum Göttinger Elch einige der schönsten Auszeichnungen hierzulande. Das vergangene Jahrhundert der deutschen Literatur, ohne die Rowohlts ist es schwer vorstellbar.