Das seltsame Verhältnis der Geschlechter zum Gelächter

Simon Borowiak fragt „Wer Wem Wen“
Die Welt der Komik ist nicht harmlos und heiter. Sie ist, wenn man genauer hinschaut, voller Untiefen und Rätsel. Wir lachen gern, sicher, aber warum können wir uns selbst nur schwer oder gar nicht zum Lachen bringen? Wieso fällt das anderen viel leichter? Und weshalb erweisen sich die Meister des Lachenmachens, die Profis des Komischen aus der Nähe betrachtet so häufig als melancholische Menschen? Genauer: als melancholische Männer – denn zumindest unter den Schriftstellern mit ausgeprägtem Talent zur Komik sind Menschen mit zwei X im Chromosomensatz allen Gleichstellungsbeauftragten zum Trotz noch immer weiße Raben. Das Lachen ist ein kurzer Exzess, eine Sekunden-Ekstase, wir verlieren die Kontrolle über unseren Körper und er gehorcht anfallweise einem Gesetz, dass sich unserem Willen entzieht. Doch das bedeutet: Wer uns gezielt zum Lachen bringt, übernimmt kurzzeitig die Macht über unser Zwerchfell, er dirigiert unseren Körper, lässt ihn lustvoll beben, zucken, stöhnen. Spielt der Witz deshalb beim Flirten eine so große Rolle? Sind die Männer in Sachen Komik härter trainiert, weil sie, spätestens nachdem in der Urhorde die ersten Worte gewechselt wurden, den Witz als prima Mittel entdeckten, eine besondere Verführungs-, ja Verfügungsgewalt über die Leiber der Weiber zu gewinnen, die sich mit ein bisschen Geschick bis aufs Bärenfell verlängern ließ? „Frau Rettich, die Czerni und ich“ war einer der komischen Erfolgsromane der neunziger Jahre. Das Buch brachte es nicht nur bis auf die Bestsellerlisten, sondern mit Iris Berben und Martina Gedeck verfilmt auch bis in die Kinos. Die Autorin Simone Borowiak galt sofort als eine der wichtigsten weiblichen Hoffnungen unter den deutschen Schriftstellern mit Leidenschaft für Komisches. Schon mit blutjungen 21 Jahren war sie an das Frankfurter Satiremagazin „Titanic“ geraten, wo man sie ihres grimmigen Witzes wegen umgehend als Redakteurin verpflichtete. „Frau Rettich, die Czerni und ich“ enthielt dann gleich eine merklich höhere komische Sprengkraft als in den frechen Frauenromanen dieser Jahre üblich, jenen leichten Liebeskomödien von Eva Heller, Hera Lind oder Gaby Hauptmann. Auch in Simone Borowiaks Geschichte ging es um die ewig gleichen Probleme mit Figur und Frisur, mit Männern und Mode, die schier unerschöpflich die einschlägigen Illustrierten füllen. Doch bei ihrer Heldin wuchsen sich solche Alltagskümmernisse gelegentlich zu echter, wilder Panik aus und ihr Blick aufs weibliche Verhaltensrepertoire war von fabelhafter Unbarmherzigkeit – was ihre Figuren zwar nicht ins beste Licht rückte, sondern ihnen handfest neurotische Züge verlieh, dem Witz des Buches aber sehr zugute kam. Mit diesem Erfolg im Rücken schrieb Simone Borowiak drei weitere Romane und schlingerte derweil tief in eine doppelte Lebenskrise. Aus der hat sie kein Geheimnis, sondern schließlich 2005 ein Sachbuch gemacht. Es trägt den Titel „Alk“ und gibt klug, kenntnisreich und komisch Auskunft über sämtliche Schrecken und Spielarten sowohl der Alkoholsucht wie des Alkoholentzugs. Doch das war nur die eine Seite jener Krise, ein Hinweis auf die andere ließ sich vom Autorennamen des neuen Buches ablesen. Simone Borowiak hatte erkannt, im falschen Körper geboren worden zu sein. Nach finsteren Seelenstürmen und noch viel finstereren Irrwegen im Labyrinth unseres Gesundheitswesens konnte sie schließlich die Geschlechtsumwandlung durchsetzen und heißt nun Simon Borowiak. Der Name fiel damit allerdings nicht zum ersten Mal. Lange bevor von einem Geschlechtswechsel Simone Borowiaks die Rede war, hatte Robert Gernhardt sie 1994 als eine Vorreiterin gepriesen auf dem literarischen Terrain des Komischen, das noch viel zu selten von Autorinnen durchmessen und erobert wird: „Zumal in Deutschland: Weit und breit keine Wilhelmine Busch, keine Karla Valentin, nicht einmal eine Eugenie Roth“. Doch, so frohlockte Gernhardt damals, „sollte es ein schlecht unterrichteter Mann immer noch wagen, der deutschen Frau als solcher die Komikfähigkeit an sich abzusprechen, so muss er heute mit der tödlichen Fangfrage rechnen: ‚Habt ihr Macker etwa einen Simon Borowiak aufzuweisen?’“ Das haben die Macker nun. Ist also aus dem gefeierten Beispiel für weiblichen literarischen Witz ein besonders deutlicher Hinweis auf eine Leerstelle in der Literatur-Szene des Landes geworden? Mit Sicherheit ist Simon Borowiak schon aufgrund von Talent und Schicksal eine exzellente Auskunftsperson zum offenbar unausgewogenen Verhältnis der Geschlechter zum Gelächter. Denn er hat, was fast kein anderer hat: die Kenntnis beider Seiten und dazu noch unbestreitbar komischen Sachverstand. „Hormone und Souveränität“, meint er, sorgen für den Unterschied. „Östrogen macht weich, Testosteron aggressiv“ – und zum guten, krachenden Gag gehört nun mal Biss und die Bereitschaft, nicht groß danach zu fragen, ob eine Granaten-Pointe beim Einschlag unter sensibleren Gemütern Kollateralschäden hinterlassen könnte. Und je souveräner jemand ist, je weniger er um seine soziale Anerkennung fürchten muss, desto leichter kann er das Risiko eingehen, sich mit einem missglückten Witz selbst lächerlich zu machen, oder die Empfindlichkeiten, den Zorn, ja die Feindschaft anderen auf sich zu ziehen. Aber sicherer im Sattel der sozialen Anerkennung saßen bislang allemal die Männer. Andererseits: Solche Souveränität hat Borowiak nie erlebt. Die Neigung zum Komischen speiste sich bei ihm von Jugend an aus anderen Quellen. „Schwermut, Todestrieb“ lautet seine Selbstdiagnose. Das Klischee vom Clown, der angeblich immer der traurigste Mann im ganzen Zirkus sein soll, erweist sich bedauerlicherweise nicht in jedem Fall als falsch. „Da ich Selbstmitleid eklig finde, trainierte ich mich zum Trotz auf Komik. Lachen ist Erlösung. Komik ist Lebenserhalt: Sie tröstet, relativiert Verzweiflung, gibt Hass eine zivilisierte Form – Komik ist Gott.“ Und zu dieser Religion bekennt sich Borowiak unbeirrbar auch als Mann. Sein neuer Roman „Wer Wem Wen“ ist ein sarkastisch funkelndes Liebesgemetzel. Ein einzelner psychisch angeschlagener und dringend erholungsbedürftiger Mann fährt als fünftes Rad am Wagen mit zwei Paaren in Skiurlaub. Sein überreizter Verstand registriert präzise die zarten Selbsttäuschungen und feinen Lügen, mit denen die anderen ihr Zusammenleben in der Balance halten. Nicht ganz leicht zu sagen, ob es der illusionslose Blick dieses Mannes auf die Schwächen seiner Mitmenschen war, der ihn depressiv werden ließ. Oder ob die Depressionsdämonen, die ihn peinigen, seinen Blick mit der Zeit so komplett illusionslos werden ließen. Sicher ist nur, dass er die Risse in den Liebesfassaden der beiden Pärchen instinktiv erfasst – und vorerst mit keinem Wort an den sensiblen Stellen rührt. Doch dann trifft überraschend eine weitere Freundin in der Berghütte ein, die gerade ihren langjährigen Lebensgefährten wegen seines monatelangem „Rumbumsens“ in die Wüste geschickt hat. Angetrieben durch diese Verletzung springt sie nun auch reichlich mitleidlos mit den bröckelnden Bindungen der anderen um. Es ist ein tiefschwarzes Vergnügen durch die Augen des einzelgängerischen Erzählers zu beobachten, wie sie Mine um Mine im fragilen Beziehungsnetz der beiden Paare zündet, die vier mit einigen schmerzlichen Wahrheiten konfrontiert und schließlich nicht nur deren Urlaubsstimmung in rauchende Trümmer sinkt. Simon Borowiak erzählt das alles mit einem blitzschnellen, gnadenlosen Sprachwitz. Schon nach drei, vier Seiten begreift man, weshalb er eine gute Portion Aggressivität zu den notwendigen Zutaten der Komik zählt. Seine Pointen haben nichts Sonniges oder Wonniges, sie sind vielmehr aus einer brachialen Nüchternheit geschöpft, hinter der sich, natürlich, eine von den Zumutungen des Daseins arg ramponierter Empfindsamkeit verbirgt. Aber eben diese Empfindsamkeit verleiht Simon Borowiaks Geschichte, neben all dem schonungslosen Witz immer wieder auch einen Schuss trauriger Poesie. Zusammen ergibt das eine eigentümliche, ganz unvergleichliche Melange, die sich letztlich wohl nur auf einen einzigen Begriff bringen lässt: rundum borowiaresk. Der Begriff aber trifft es haargenau.

Simon Borowiak: „Wer Wem Wen“. Eine Sommergeschichte Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007 184 Seiten, 14,95 € 

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