Gesammelte Klosprüche

Benjamin von Stuckrad-Barre kommt im Literaturbetrieb an  
Das war schon ein Riesenspaß, als Benjamin von Stuckrad-Barre vor sechs Jahren mit seinem „Soloalbum“ an den Start ging. Vielleicht fehlte dem damals 23-Jährigen noch das eine oder andere, um ein beeindruckender Schriftsteller zu sein. Aber Sprachkraft, Temperament und Mut zur Provokation hatte er mehr als genug. Seine Lesungen waren kleine Rebellionen gegen den oft so vermufften deutschen Literaturbetrieb. Nicht als bedeutungsvoll Pfeife schmauchender, Rotwein schlürfender, unter der Baskenmütze weg die Welt erklärender Dichtergutmensch trat er auf, sondern programmatisch als „reisender Mitarbeiter der Unterhaltungsindustrie“, der zu aller erst die Freude seiner Zuhörer an der Show mitsamt CD-Musikeinlage und Publikumsbeteiligung im Auge hatte. Mancher Literaturbetriebsratsvorsitzender tat ihm dann auch den Gefallen und schimpfte ihn öffentlich „Schnösel“ oder „Popliterat“. Womit ein werbewirksamer Generationsgraben aufgerissen und Stuckrad-Barre die so überaus dankbare Rolle des jugendlichen Outcasts zugeteilte wurde. Was er natürlich genoss und nach Kräften unterstützte, indem er sich zu einer Art James Dean des wahren Pop stilisierte, der herzzerreißend litt an den Erwachsenen und ihren verblödeten Medien. Seither ist es zwar nicht ruhiger um Stuckrad-Barre geworden – aber literarisch scheint er nicht mehr vom Fleck zu kommen. Selbst eher dürftige Fingerübungen und Reportagen hat er zwischen Buchdeckel gepackt, hat die Öffentlichkeit millimetergenau über sein Verhältnis zu Anke Engelke unterrichtet und wurde von Udo Lindenberg aus dem Schnee gerettet oder auch nicht. Entwickelt sich Stuckrad-Barre zu einem One-hit-wonder? Ein lesenswertes Buch, und danach nur noch dieses peinliche Fuchteln für die Kameras, damit ihn das Publikum nicht vergisst? Sein jüngstes Projekt „Ich war hier“ zeugt zumindest von staunenswerter künstlerischer Rat- und Belanglosigkeit. Das Malheur ist jetzt gleich multimedial zu besichtigen, nämlich sowohl im Fernsehen (NDR, 7. Juni; 3Sat, 13. Juni) als auch als 170-seitiger Teil seines heute erscheinenden Buches „Remix 2“ (Kiepenheuer & Witsch, 12,90 EUR). Überall, so fiel Stuckrad-Barre auf, hinterlassen Menschen schriftliche Zeugnisse ihrer Anwesenheit: Sie kratzen auf Schulbänke, sprayen auf Hauswände, kritzeln in Gästebücher, beschmieren Klotüren. Stuckrad-Barre betrachtet dies – wie viele vor ihm – als eine „menschliche Variante des Revierbepinkelns“, sammelt an Schriftspuren ein, was er kriegen kann, lässt sich dabei filmen und bläht mit den notierten Listen sein Buch auf. Aber obwohl er unter diese kümmerlichen Aufzeichnungen noch allerlei Interviews mit Schriftsachverständigen mischt, bleibt der Erkenntnisgewinn minimal. Zumal Stuckrad-Barre auf eine Analyse des zusammengeklaubten Materials weitgehend verzichtet. Warum gibt sich ein talentierter Autor mit so etwas ab? Stuckrad-Barre scheint sich hier eher an seine Kommentatoren als an Leser zu wenden. Moritz Baßler, der Cheftheoretiker des deutschen Pop-Romans, zählte ihn unlängst zu den „Neuen Archivisten“, die aus ihrer Wirklichkeit am liebsten in Form von Katalogeinträgen, Aufzählungen oder langen Listen berichten. Prompt und brav liefert Stuckrad-Barre nun also haufenweise Listen ab. Seine Interpreten wird es so glücklich machen, wie alle anderen gleichgültig lassen. Denn derart lendenlahme Wichtigtuereien in Buchform gibt es dutzendweise von subventionsgepäppelten Nachwuchsautoren. Nach nur sechs Jahren ist Stuckrad-Barre also mitten im einst so verachteten Literaturbetrieb angekommen: der Rebell als Riegenturner

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