Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller protestiert gegen die Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei – und gegen die deutsche Austellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking
Uwe Wittstock: Ai Weiwei wurde festgenommen, kurz nachdem die große deutsche Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking eröffnet worden ist. Hat es Sinn, offiziellen Kulturaustausch mit einem autoritären Regime wie dem chinesischen zu pflegen, wenn es seine Künstler und Bürgerrechtler derart offen drangsaliert?
Herta Müller: Mit dieser Festnahme wurde der deutsche Außenminister und seine Delegation regelrecht vorgeführt: Kaum hatten sich die Flugzeugtüren hinter ihnen zum Rückflug geschlossen, wurden die Verhaftungen vorgenommen. Von einem wirklichen Dialog kann bei diesem Kulturaustausch keine Rede sein. Als in Peking von deutscher Seite gefragt wurde, weshalb der Schriftsteller und Sinologe Tilman Spengler nicht mit Westerwelles Delegation nach China einreisen dürfe, wurde kaltschnäuzig geantwortet, man sei nicht für die Visa-Vergabe des Landes zuständig. Das ist jenseits jeder Höflichkeit einem Gast gegenüber. Das ist eher eine Demütigung.
Uwe Wittstock: Halten Sie es für falsch, dass deutsche Museen die Ausstellung veranstaltet haben?
Herta Müller: Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museums-Klotz liefern, der doch nur ein Prestige-Objekt des Regimes ist. Es kommt mir vor, als würde die deutsche Kulturpolitik regelrecht winseln um Anerkennung durch China. Es wirkt wie eine Anbiederung. Dieser Wunsch, deutsche Kultur um jeden Preis in die weite Welt zu schicken, verrät letztlich eine provinzielle Haltung der deutschen Kulturpolitik.
Uwe Wittstock: 2009 empfing die Frankfurter Buchmesse China als Ehrengast. War auch das so eine Anbiederung an ein autoritäres Regime?
Herta Müller: Eine Anbiederung, die bis zur Selbstgeringschätzung ging. Nach Frankfurt kam damals eine große Delegation von Parteibonzen, die öffentlich hofiert wurde. Die kleine Gruppe von Schriftstellern, die auch nach Frankfurt reisen durfte, diente nur als Verzierung, war nur ein Alibi für den Parteiausflug der Funktionäre. Dahinter verbirgt sich eine seltsame Mischung aus zwei Dingen. Einerseits Selbstgeringschätzung, mit der die Deutschen vor den Machthabern buckeln und andererseits Überheblichkeit, mit der sie glauben, auf die Verhältnisse in China Einfluss nehmen zu können, indem sie den Wünschen des Regimes entgegenkommen.
Uwe Wittstock: Wäre es denn sinnvoller, nach der Verhaftungen von Regimekritikern und Bürgerrechtlern die Kontakte zu China einzufrieren?
Herta Müller: Ich glaube, das Regime würde dann eher etwas lernen, wenn es dafür isoliert wird, wie es mit seiner Bevölkerung umgeht. Diktaturen lernen nur durch Druck. Was Deutschland derzeit mit China macht, ist das Gegenteil von Druck. Uwe Wittstock: Was können westliche Künstler tun, um ihren verfolgten Kollegen in China beizustehen oder zu helfen? Herta Müller: Leider fast nichts. Sie können das Schicksal der Verfolgten nur immer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen. Sie dürfen nicht aufhören, die Repressalien zu benennen. Ich weiß es aus meiner Erfahrung in Rumänien: Wenn der Name eines Verfolgten im Westen bekannt war und immer wieder öffentlich genannt wurde, gab ihm das einen gewissen Schutz. Auch die Machthaber in solchen Ländern haben eine Schmerzgrenze, obwohl sie sie überspielen durch Arroganz. Es lässt eine Diktatur nicht kalt, wenn man ihr vom Ausland aus, vom Westen aus auf die Finger schaut und zusieht, wie sie mit ihren Kritikern umspringt.
Uwe Wittstock: Was bedeutet das alles für die deutsche Ausstellung in Peking?
Herta Müller: Jetzt sollen dort Vorträge über die Aufklärung gehalten werden. Obwohl man weiß, dass in einem solchen Regime jedes öffentliche Wort streng gefiltert wird. Wer dort Vorträge halten darf, wurde vorher ausgesiebt und präpariert. Die Machthaber werden also letztlich darüber entscheiden, was über Aufklärung in ihrem Land gesagt werden darf und was nicht. Das ist der blanke Zynismus. Es wird Staatsprosa vorgetragen werden, Propaganda statt Aufklärung.
Uwe Wittstock: Wer sollte Ihrer Ansicht nach in China über Aufklärung sprechen?
Herta Müller: Ein Autor wie Liu Xiaobo, der Friedensnobelpreisträger, der hätte die Rechtfertigung in seinem Land über Aufklärung zu sprechen. Er hätte uns allen etwas zu sagen. Oder eben Ai Weiwei, er könnte über Kunst und Aufklärung sprechen. Aber die beiden sind im Gefängnis und ihre Frauen unter Hausarrest. Andere Autoren haben zwar noch „Freigang“ auf den Straßen, werden aber ständig „besucht“ und bedroht im Auftrag derer, die auch über die Rednerliste für diese Ausstellung entscheiden. Das ist eine Verhöhnung des Begriffs Aufklärung. Wie weit haben die deutschen Museen gedacht, als sie sich auf diese Ausstellung einließen? Wohin haben sie Kant, den großen Aufklärer, ausgeliehen? Sie haben Kant zur Staffage eines schlechten Staatstheaters gemacht. Kant kann sich nicht wehren. Die Bilder, die jetzt dort hängen, können sich nicht wehren. Sie dienen jetzt als Dekoration für eine eine Propagandashow eines autoritären Regimes.
Das Interview mit Herta Müller wurde am 11. April 2011 im „Focus“ veröffentlicht