„Das Überirdische Licht“

Barbara Honigmann erzählt von ihren Begegnungen mit dem jüdischen Leben in New York

Reisen nach New York gehören heute zum Freizeitprogramm oder auch den Berufspflichten von Millionen. Selbst den Glücklichen, die wie Barbara Honigmann zehn Wochen dort verbringen können, dürfte es nach ihrer Rückkehr nicht immer leicht fallen, die Daheimgebliebenen mit ihren Reiseerinnerungen in Erstaunen zu versetzen. Aus New York ist von so Vielen so viel Abenteuerliches, Ausgefallenes, Skurriles, Schrilles zu hören, dass man inzwischen sehr dazu neigt, beim jeweils nächsten Sensationsbericht nur noch abgeklärt mit den Schultern zu zucken. In New York gibt es ein ganzes Kaufhaus nur für Barbie-Puppen! Was, denkt man erstaunt, nur ein einziges? Das Baden in Long Beach kann an manchen Tagen so gefährlich sein wie in der Biskaya. Wie, gefährlicher nicht? New York hat die Kriminalitätsrate glatt halbiert! Ach, nur halbiert? Es gehört zu den Qualitäten von Barbara Honigmanns kleinem Buch „Das überirdische Licht“ über ihren Aufenthalt in New York, dass sie sich auf einen solchen Wettbewerb des Sensationellen nicht einlässt, andererseits aber auch nicht das andere, alltägliche New York zu kennen behauptet, das sich einem naturgemäß erst nach Jahren der Vertrautheit allmählich erschließt. Ihr Bericht konzentriert sich statt dessen auf einen kleinen Ausschnitt von Manhattan, der ihr aus ganz persönlichen Gründen wichtig ist, auf ein Areal in Greenwich Village zwischen German House, Maison Française und der koscheren Mensa der New York University. Dieses „magische Dreieck“ repräsentiert in einem zweifachen Sinne wesentliche Pole ihres Lebens. „I come from France, but I am a German Jew“, so stellt sie sich unbekannten Amerikanern üblicherweise vor, und die „Formelhaftigkeit, in der meine Existenz so ihren Ausdruck findet, beglückt mich“. Denn ihre Herkunft und ihren Werdegang in seinen Feinheiten verständlich zu machen, ist nicht leicht. Sie wurde 1949 in Ost-Berlin als Tochter eines kommunistischen jüdischen Ehepaars geboren, das nach dem Exil in die DDR zurückgekehrt war und dort wichtige kulturelle und politische Funktionen übernahm. Doch als Jugendliche wandte sich Barbara Honigmann entschieden gegen das Milieu ihrer Eltern und damit auch gegen das SED-Regime. Sie opponierte allerdings nicht nur gegen deren sozialistische, sondern auch gegen deren strikt rationalistische Grundhaltung und suchte Anschluss an die jüdische Gemeinde der DDR, in der sie die jüdische Religion überhaupt erst kennenlernte. Bald wurden die Konflikt mit ihrem Geburtsland unüberbrückbar, sie stellte einen Ausreiseantrag und übersiedelte 1984 mit Mann und Kindern von der DDR ins französische Straßburg. Denn die Stadt verfügt nicht nur über ein reges jüdisches Leben, sondern in Frankreich hoffte sie außerdem Distanz zu dem vom Holocaust überschatteten und bis heute belasteten, oft verkrampften Verhältnis der deutschen Nicht-Juden zu den Juden zu gewinnen. Das Leben in Greenwich Village vergegenwärtigte für sie aber noch in einer anderen, zweiten Hinsicht eine zentrale Erfahrung ihres Lebens. Denn als junge Frau war sie Teil einer Ost-Berliner Boheme, die in Kunst, Theater, Literatur ihre Zuflucht vor den Zumutungen der Diktatur suchte – und diese „Clique lebte und bewegte sich mehr wie ein einziger, vielarmiger und mehrköpfiger Körper. Mal schlief eine Freundin bei mir, mal ich bei ihr, oder wir beide schliefen bei einer dritten, oder wir schliefen zu dritt bei einer vierten, jedenfalls trugen wir immer eine Zahnbürste bei uns, weil wir ja nie wussten, wo wir aufwachen würden.“ Im New Yorker Village trifft sie nicht nur eine alte Freundin aus Ost-Berliner Zeiten wieder, sondern fühlt sich auch durch das bohemehafte Milieu der Menschen dort wie in die eigene Vergangenheit zurückversetzt: „Ein längst vergangenes Leben stellt sich wieder ein, sozusagen vor meinen eigenen Augen verwandele ich mich in eine kinderlose, unverheiratete Studentin zurück und bin erschüttert, wie leicht und selbstverständlich ich diesen Zustand wieder als den natürlichen annehme.“ So ist „Das überirdische Licht“ zu einem außergewöhnlich persönlichen Reisebericht geworden. Fast fühlt man sich an Bücher wie „Was bleibt“ oder „Sommerstück“ von Christa Wolf erinnert, die erklärtermaßen dem literarischen Programm einer „subjektiven Authentizität“ folgten und die alltägliche, sehr individuelle Erlebnisse, Begegnungen und Einfälle der Schriftstellerin in den Mittepunkt stellen. „Das überirdische Licht“ wirkt über weite Strecken wie ein Tagebuch, in dem die Autorin ihren Lesern einen intimen, durch literarische Maskenspiele kaum noch verschlüsselten Einblick in ihre New Yorker Zeit gewährt. Im Zentrum nicht nur dieser Wochen stehen bei ihr die bewusst wiederbelebten Bindungen an die jüdische Religion, die zur Basis ihres Lebens geworden ist. „Nicht wir halten Schabbes“, schreibt sie, als sie nach ihrer Ankunft in New York mithilfe der religiösen Rituale für Ordnung in ihren ansonsten völlig verpflichtungslosen Tagen sorgt, „sondern Schabbes hält uns. Sagt der Talmud. Die Wahrheit dieser Weisheit kann ich bestätigen.“ Doch ebenso wie Barbara Honigmanns Buch kein literarischer Reiseführer durch New York ist, ist es kein Wegweiser durch das jüdische Leben der Stadt. Sicher, sie erzählt von Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Formen des amerikanischen Judentums, mit sehr traditionellen oder auch sehr liberalen Juden, mit Reformern oder Orthodoxen, mit ungläubigen Intellektuellen, aber auch modischen Gläubigen: „Heute ist es hip und cool und in, Jude zu sein und das auch stolz zu zeigen. Woody Allan und das jiddische Mamme-Problem sind überhaupt nicht mehr aktuell. Jüdische Rapper und jüdische Supermänner treten jetzt auf.“ Doch Barbara Honigmann ist weder auf einen vollständigen Überblick noch auf detaillierte Analysen aus, sondern versucht vielmehr festzuhalten, welche Eindrücke diese Begegnungen bei ihr hinterließen.

Barbara Honigmann: „Das überirdische Licht“. Rückkehr nach New York Hanser Verlag, München 2008 157 Seiten, 14,90 €

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