Fabelhaft schön, fabelhaft reich

John le Carrés „Der ewige Gärtner“ ist ein überraschendes Beispiel für engagierte Literatur

John le Carré ist nicht nur ein weltweit berühmter Bestsellerautor. Er ist zudem ein bedeutender Schriftsteller – was bei Bestsellerautoren nicht gerade üblich ist. Wer je „Der Spion, der aus der Kälte kam“ gelesen hat und danach zu einem Buch griff von Tom Clancy, Michael Crichton, John Grisham oder eines anderen Erfolgsschreibers vergleichbaren Kalibers, der kennt den Unterschied: John le Carré wittert nicht nur frühzeitig Themen, die ein oder zwei Jahre später – nach Fertigstellung des Romans – das öffentliche Bewusstsein der westlichen Hemisphäre beschäftigen und versteht es nicht nur, spannende Plots zu erfinden. Er hat darüber hinaus zwei Fähigkeiten, die vielen seiner Konkurrenten abgehen: Er schreibt eine traumhaft sichere, differenzierte, weltkluge Erzählprosa. Und er kann aus nichts als Sprache lebendige Charaktere entstehen lassen: glaubwürdige, weil komplexe Gestalten, die sich der Erinnerung des Lesers einprägen oder, wie im Falle George Smileys, zu einer geradezu mythischen Verkörperung einer ganzen Epoche aufsteigen. Das große, respektgebietende Romanwerk le Carrés ist inzwischen zu einer gültigen literarischen Chronik der politischen Kontroversen und Verwerfungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herangewachsen: Nicht nur des Kalten Krieges in Europa, sondern auch regionaler Spannungsherde, ob sie nun im Nahen Osten („Die Libelle“), im Kaukasus („Unser Spiel“) oder in Mittelamerika („Der Schneider von Panama“) liegen. Immer wieder ist es ihm gelungen, die ideologischen oder militärischen Konflikte, in denen seine Helden stehen, als Konflikte in deren Psyche zu spiegeln. Ein Spion, also ein professioneller Verräter, wird auch zum Verräter seiner selbst, der eigenen Ideale: Das ist die Lehre, der le Carrés Romane nicht müde werden in allen subtilen Spielarten nachzuspüren. Aber immer wieder einmal sind le Carré, dem Meisterhaften, auch unmeisterliche, zweitrangige Werke unterlaufen. Er weiß das und macht im Gespräch keine Geheimnis daraus. Nun will es das Unglück, dass er ausgerechnet in diesem Jahr, dem Jahr seines 70. Geburtstags, einen Roman veröffentlicht hat, der ihn nicht auf der Höhe der eigenen Möglichkeiten zeigt. „Der ewige Gärtner“ ist ein ungemein lesbares, in einigen Passagen auch gelungenes, alles in allem aber literarisch dürftiges Buch. Das liegt vor allem an Tessa und ihrem Mann Justin, den beiden Hauptfiguren des Romans. Justin, ein distinguierter mitvierzigjähriger Brite, arbeitet im diplomatischen Dienst Ihrer Majestät. Bei einem Vortrag an einer Universität lernt er eine zwanzig Jahre jüngere, fabelhaft schöne, fabelhaft kluge, fabelhaft reiche Frau kennen – eine fabelhaft seltene Kombination, der man gewöhnlich eher in Kitschromanen begegnet. Die beiden verlieben sich, und die vielbegabte Tessa hat nichts Besseres zu tun, als Justin zu heiraten und auf einen öden Diplomatenposten nach Kenia zu begleiten – wo sie nichts erwartet als dumpfe Langweile und oberflächliche Diplomatengattinnen. Kein Wunder, dass Tessa sich andere Aufgaben sucht. Zusammen mit einem gutaussehenden afrikanischen Arzt spürt sie den Machenschaften europäischer Pharmakonzerne in Afrika nach – mit zwei ziemlich erwartbaren Ergebnissen: Die Geschäfte der Chemiegiganten mit den oft aidskranken Einheimischen sind mitunter nicht ganz lauter, und die kleine britische Gemeinde in Nairobi ergeht sich bald in den menschenfreundlichsten Vermutungen über das Verhältnis zwischen Tessa und ihrem ständigen schwarzen Begleiter. Besonders prächtig ins Kraut schießen die Gerüchte, nachdem Tessa auf einer ihrer eigenmächtigen Kontrollreisen, durch die sie die üblen Geschäfte der weißen Medizinmänner auszuforschen versucht, vergewaltig und ermordet wird. Woraufhin Justin – der vor der Gefahr, in der seine Frau schwebte, die Augen und vor der sie betreffenden üblen Nachrede die Ohren fest verschloss – nun Tessas Platz einnimmt und ihre Recherchen nachzuvollziehen und zu Ende zu bringen versucht. Leider schafft es le Carré nicht, seine Figuren eine überzeugende Entwicklung durchleben zu lassen. Sie sind fast so flach wie die Helden eines TV-Serienkrimis. Beide haben notorisch das Herz auf dem rechten Fleck, vertrauen einander blind, widerstehen allen erotischen, finanziellen oder beruflichen Versuchungen – und treffen immer wieder Menschen, die ihrerseits das Herz auf dem rechten Fleck haben, oder sich schnell als Finsterlinge mit schlechten Manieren entpuppen. Natürlich finden sich bei einem Könner wie le Carré zwischendurch immer wieder einzelne Szenen, die einschüchternd gut und originell sind. Das erste Kapitel, in dem die Nachricht von Tessas Tod das Britische Hockkommissariat in Nairobi erreicht, ist grandios und belegt noch einmal die unglaubliche Fähigkeit dieses Autors, den Organismus diplomatischer Auslandsvertretungen zu literarischem Leben zu erwecken. Auch vor der Charakteranalyse des lüsternen Biedermanns und Karrieristen Sandy Woodrow, eines Kollegen Justins, müssten, wenn die Welt gerecht wäre, etliche andere Schriftsteller neidvoll ins Knie sinken. Doch von solchen Partien abgesehen, überspült die verständliche Wut le Carrés auf westliche Konzerne, die aus der unaussprechlichen Not todkranker Afrikaner ihren Vorteil ziehen, jede literarische Differenzierung. Die Welt zerfällt ihm in diesem Buch in gut und böse. Die Grauwerte zwischen schwarz und weiß, die er sonst so virtuos zu setzen weiß, fehlen. Früher belegte man Romane wie diesen gern mit einem Etikett, dass inzwischen aus der Mode gekommen ist: engagierte Literatur. Bücher, die stark in ihrer Gesinnung sind und schwach in ihrer Gestaltungskraft.

John le Carré: „Der ewige Gärtner“. Roman
Aus dem Englischen von Werner Schmitz List Verlag, München 2001 560 S., 44,90 Mark.

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