Kleines Gespräch mit Andrea Maria Schenkel anlässlich des Erscheinens ihres vierten Romans „Finsterau“
Uwe Wittstock: Wie Ihre beiden Krimi-Bestseller „Tannöd“ und „Kalteis“ geht ihr neuer Roman „Finsterau“ auf einen autentischen Fall zurück. Lieben Krimi-Leser wahre Geschichten?
Andrea Maria Schenkel: Ich denke schon. Der Leser spielt bei jedem Wort mit dem Gedanken: War es wirklich so? Bei „Finsterau“ ist der Anteil der historischen Fakten allerdings sehr gering.
Wittstock: Wie finden Sie die Fälle, die Sie in ihren Romanen verarbeiten?
Andrea Maria Schenkel: Ich habe ein Faible für alte Zeitungen. Für mich machen sie Vergangenheit lebendig. In ihnen finde ich meine Stoffe.
Wittstock: Reden Sie mit Zeugen der jeweiligen Fälle oder genügen Ihnen die Prozess-Akten? Andrea Maria Schenkel: Nein, keine Zeugen. Für den neuen Roman hatte ich nur einen Zeitungsartikel. Daraus hat sich in meiner Phantasie die Geschichte entwickelt. Bei „Kalteis“ dagegen habe ich wochenlang im Staatsarchiv gesessen und alles über den Fall gelesen. Außerdem alles, was ich über Serienmörder finden konnte.
Wittstock: Hat Ihnen das auch bei „Finsterau“ geholfen?
Andrea Maria Schenkel: Nein, gar nicht. Ein Roman entsteht ja nicht nur aus den Fakten der Handlung, sondern er braucht Atmosphäre. Für „Finsterau“ musste ich zum Beispiel genau wissen wollen, wie man kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Land Wäsche gewaschen hat. Gar nicht so leicht, das zu recherchieren.
Wittstock: Wie Ferdinand von Schirach in seinen Büchern übt auch ihr Roman Kritik an Justiz-Verfahren. Ist das ein wichtiges Thema heute?
Andrea Maria Schenkel: Unbedingt. Die amerikanischen Fernsehr-Serien über Juristen vor Gericht vermitteln ein falsches Bild: Da sieht es immer so aus, als könnten die Richter Gerechtigkeit schaffen. Doch wirkliche Gerechtigkeit gibt es im normalen Leben kaum. Tatsächlich können Gerichte nur nach den Beweisen urteilen, die ihnen vorliegen – die sind aber oft missverständlich oder unvollständig. Dann kommt es Justiz-Irrtümern.
Wittstock: Sie benutzen oft Dialekt-Begriffe in ihren Romanen. Sie wirkt so sehr autenthisch. Aber viele Leser kennen diese Worte gar nicht.
Andrea Maria Schenkel: Sie kennen die Begriffe nicht, aber sie können sie verstehen beim Lesen. Ich will, dass die Figuren in meinen Büchern so reden, wie sie seinerzeit tatsächlich geredet haben könnten. Auch wenn manche Worte inzwischen ungebräuchlich sind. Aber so, wie ich diese Worte im Roman einsetze, sind sie immer verständlich und geben einer Geschichte ihren echten Klang.
Das Gespräch erschien im Nachrichtenmagazin „Focus“ am 12. März 2012